»Die Kritik der Religion endet mit der Lehre, dass der Mensch das höchste Wesen für den Menschen sei, also mit dem kategorischen Imperativ, alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist.« (Karl Marx 1975: 385)

 

Vor dem Hintergrund der ideologischen Entwicklungen der sogenannten radikalen Linken seit den späten 1970er Jahren lässt das Papier Der kommende Aufprall der Frankfurter Antifa Kritik und Klassenkampf aufhorchen. Im Gegensatz zum notorischen »Abschied vom Proletariat« (André Gorz) gehen sie davon aus, dass sich die kapitalistische Klassengesellschaft durch ihre politischen und ökonomischen Umstrukturierungen hindurch nicht erledigt, sondern vielmehr verjüngt hat. Die praktische Antwort auf diesen Umstand kann, dem Papier zufolge, nicht in Defätismus, Kampagnenpolitik gegen dieses und jenes oder in reinen Ideenkämpfen bestehen. Nach wie vor stellt sich die Aufgabe einer Selbstorganisation der ausgebeuteten Lohnarbeiter_innen, wobei natürlich entsprechend der Veränderungen von gesellschaftlicher Arbeitsteilung und Klassenzusammensetzung neue Strategien, Ziele, Kampf- und Organisationsformen entwickelt und diskutiert werden müssen.

In dieser Allgemeinheit teilen wir die Einschätzungen der Autor_innen. Beim näheren Hinsehen sind jedoch einige theoretische Bestimmungen zentraler Kategorien im Kommenden Aufprall unzureichend und das muss sich auch politisch rächen. Die Ungereimtheiten entstehen unter anderem bei der Analyse und Kritik des Geschlechterverhältnisses, genauer: in den Versuchen, es in seinem Verhältnis zur gesellschaftlichen Totalität und dem Klassenantagonismus zu begreifen. Wir sehen hier die Gefahr, um der ersehnten Kohärenz von Theorie, Organisation und Praxis willen vorschnell Inkommensurables gleichzumachen oder abzuschneiden. Auf der Strecke bleibt, was sich mit dem begrifflichen Arsenal der Kritik der politischen Ökonomie nicht fassen lässt, was nicht entlang der Klassengrenzen läuft und möglicherweise nicht durch das Klassenbewusstsein begriffen oder mit den Mitteln des Klassenkampfes überwunden werden kann: Das weiblichkeitsfeindliche Geschlechterverhältnis. Diese Thesen wollen wir auf den folgenden Seiten entfalten und damit eine Richtung andeuten, in die sich die kommunistische Diskussion bewegen sollte.

 

Zum Begriff der Totalität

Der »bewusste[n] Totalitätsbezug« (Antifa Kritik und Klassenkampf 2015: 10) ist im Kommenden Aufprall der Dreh- und Angelpunkt sozialrevolutionärer Veränderung. Die zentrale Kategorie der Totalität bleibt dabei jedoch schillernd und widersprüchlich, gerade auch hinsichtlich des Geschlechterverhältnisses. Einerseits wird festgehalten, »dass die gesellschaftliche Totalität nicht im Kapitalverhältnis aufgeht, sondern umfassender ist« (ebd.: 14). An anderer Stelle ist jedoch die Rede von der »Totalität der ökonomischen Prozesse« (ebd.: 15), bzw. der »Totalität des Kapitalverwertungsprozesses«. Es existieren demzufolge implizit zwei verschiedene ›Totalitäten‹, deren eine (Kapital) einen Teil der anderen (Gesellschaft) bilden soll. Dieser uneinheitliche, missverständliche und letztlich auch widersprüchliche Gebrauch des Wortes Totalität wird aber nirgends kenntlich gemacht. Vielmehr verschmelzen in der vieldeutigen Verwendung des Wortes Totalität tendenziell beide – Kapital und Gesellschaft – zu einer Einheit, wenn auch gegen die erklärte Absicht der Autor_innen.

Sehen wir näher auf die innere Struktur der gesellschaftlichen Totalität. Von ihr gelte: »Der Klassenantagonismus stellt nicht den einzigen und auch nicht den Hauptwiderspruch in kapitalistischen Gesellschaften dar.« (ebd.: 13) Es scheint also noch weitere antagonistische Verhältnisse in der kapitalistischen Gesellschaft zu geben, die eine vergleichbare, strukturierende Funktion in der gesellschaftlichen Totalität besitzen. Sind diese Antagonismen von derselben Art und Bedeutung? Und in welchem Verhältnis stehen sie zueinander? Die Autor_innen schreiben dazu:

»[Das Kapital] bedarfgesellschaftlicher Sphären und Verhältnisse, die einer anderen Logik folgen als es selbst – wie etwa des Staats oder des patriarchal-heterosexistischen Geschlechterverhältnisses –, die nicht einfach aus ihrer Funktionalität für das Kapital erklärt werden können und auf diese nicht zu reduzieren sind.« (ebd.: 14)

Hier finden wir zwei weitere Absichtserklärungen 1) Das Geschlechterverhältnis funktioniert nach einer »anderen Logik« (ebd.) als das Kapitalverhältnis und muss dementsprechend begriffen werden 2) Das Geschlechterverhältnis darf nicht nur in seiner Funktionalität für das Kapital betrachtet werden.

Diese Grundsätze finden aber leider keinen Niederschlag in den weiteren Ausführungen. Im gesamten Text wird das Geschlechterverhältnis ›ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der gesellschaftlichen Arbeitsteilung behandelt, so als seien Frauenfeindlichkeit, der Hass auf das Weibliche, die Konstitution männlicher und weiblicher Subjektivität ausschließlich eine Frage der »Totalität des ökonomischen Prozesses«. Worin die vermeintliche »andere Logik« (ebd.) des Geschlechterverhältnisses liegt, bleibt unklar, wenn in seiner Theoretisierung nur die schon fix und fertig bereitstehenden Kategorien der Kritik der politischen Ökonomie berücksichtigt werden: Arbeit – gesellschaftliche Arbeitsteilung – Ausbeutung – unbezahlte Aneignung von Mehrarbeit. Geht aber jener Gegenstand überhaupt in diesen Begriffen (in dieser »Logik« (ebd.)) auf? Das wäre erst herauszufinden.

Der sich einstellende ökonomistische Eindruck wird verstärkt durch die Bestimmung des Klassenbewusstseins, einem weiteren Schlüsselbegriff in den revolutionstheoretischen Überlegungen des Kommenden Aufpralls. Obwohl der Klassenantagonismus die gesellschaftliche Totalität einerseits nicht erschöpfen soll, wird andererseits das Klassenbewusstsein zum Totalitätsbewusstsein überhöht. »Dieser bewusste Totalitätsbezug, in dem die eigene Position innerhalb des Reproduktionsprozesses des Kapitalverhältnisses reflektiert wird, ist es, den wir als Klassenbewusstsein verstehen.« (ebd.: 10) Die Momente der gesellschaftlichen Totalität, von denen zuvor gesagt wurde, sie gingen nicht im Kapitalverhältnis auf, scheinen hier verschwunden zu sein.

Doch was ist es denn nun, was in der latenten Hypostasierung des Kapitalverwertungsprozesses zur gesellschaftlichen Totalität nicht aufgeht? Hören wir dazu zunächst Friedrich Engels:

»Nach der materialistischen Auffassung ist das in letzter Instanz bestimmende Moment in der Geschichte: die Produktion und Reproduktion des unmittelbaren Lebens. Diese ist aber selbst wieder doppelter Art. Einerseits die Erzeugung von Lebensmitteln, von Gegenständen der Nahrung, Kleidung, Wohnung und den dazu erforderlichen Werkzeugen; andrerseits die Erzeugung von Menschen selbst, die Fortpflanzung der Gattung. Die gesellschaftlichen Einrichtungen, unter denen die Menschen einer bestimmten Geschichtsepoche und eines bestimmten Landes leben, werden bedingt durch beide Arten der Produktion: durch die Entwicklungsstufe einerseits der Arbeit, andrerseits der Familie.« (Friedrich Engels 1975: 27f)

Die Marxisten interessieren sich jedoch in der Regel nur für eine Art der Produktion, nämlich die Arbeit und die im entsprechenden Produktions- und Verwertungsprozess von statten gehende Ausbeutung. Die andere Produktion, die Erzeugung der Menschen und die Produktion der Gattung in Familien- und Geschlechterbeziehungen, sowie die damit verbundenen Konstitutions- und Formungsprozesse von Leib und Psyche fallen unter den Tisch. Dieser halbierte Blick löst sich auf, wenn beide Prozesse als Momente einer Totalität begriffen werden, die in sich vermittelt ist.

Wichtig ist folgender daran anschließender Gedanke, den wir etwa bei Frigga Haug vorgeprägt finden: das Geschlechterverhältnis durchzieht die gesamte gesellschaftliche Totalität, das heißt sowohl die gesellschaftliche Arbeitsteilung, als auch das in der gesellschaftlichen Totalität ›darüber‹ und ›darunter‹ Liegende. Will man das Geschlechterverhältnis in seiner konkreten Wirklichkeit begreifen, muss man daher das Zusammenspiel von politökonomischen Entwicklungen mit kulturellen und sozialpsychologischen verstehen. Daraus folgt wiederum, dass die Kritik der politischen Ökonomie zur Analyse und Kritik der gesellschaftlichen Totalität zwar unabdingbar ist, es jedoch darüber hinaus weiterer Begriffe und Theorien bedarf (z.B. eine Kulturtheorie, eine Theorie der Subjektivität), ohne dass freilich deren häufig idealistischer Charakter reproduziert werden darf – sei es in Form eines individualistischen Psychologismus oder als scheinbare Selbstbewegung der symbolischen Ordnungen.

Die verschiedenen Momente des historischen Gesamtprozesses entwickeln sich nicht völlig unabhängig voneinander, jedoch auch nicht notwendig simultan und harmonisch. Vielmehr kommt es zwischen ihnen zu Ungleichzeitigkeiten und Friktionen. Die Entwicklungen in der einen Dimension kann durch Stagnation oder Gegenentwicklungen in der anderen Dimension konterkariert werden. Viele Marxisten verabsolutieren jedoch Marxens Bestimmung des Kapitals als großem ›Leveller‹ und gehen ausgehend davon – einseitig und abstrakt – von einer quasi notwendigen Durchsetzung der Tendenz zur Nivellierung des Geschlechterverhältnisses in der kapitalistischen Epoche aus. Im konkreten gesellschaftlichen Gesamtprozess stehen jener durchaus vorhandenen Tendenz jedoch gewaltige Hemmnisse und Gegentendenzen entgegen, die sich insbesondere aus dem reich gefüllten Reservoir patriarchaler Bilder, Gesten und Erzählungen speisen, mithilfe derer besonders männliche Subjekte eine in krisenhafte Unordnung geratene Welt virtuell in Ordnung bringen und alltägliche Erfahrungen von Ohnmacht und Objektivierung zu kompensieren suchen. Auch hier gilt wieder, dass sich eine ökonomistische Verengung in der Theorie letztlich in der politischen Praxis rächt, da die libidinösen Wurzeln des gegenwärtig massiv grassierenden, maskulinistischen Autoritarismus unangetastet bleiben müssen.

 

Blicke, an sich selbst vorbei

In der notorischen Schwierigkeit, Geschlechterverhältnis und Klassenverhältnis in ihrer Verflochtenheit theoretisch zu begreifen, zeigt sich nicht nur ein Mangel der Theorie oder des Denkvermögens – es schlägt sich hierin die gesellschaftliche Praxis selbst in ihren Trennungen nieder.

Wenn wir den Blick aus der makrosoziologischen Vogelperspektive ablegen, der die Gesellschaft in verschiedene vergeschlechtlichte ›Sphären‹ aufteilt – Privates und Öffentliches, Produktion und Reproduktion etc. – und die Gesellschaft stattdessen von ihrem Seelenende her betrachten, stellen wir fest, dass die gesellschaftlichen Individuen selbst – und mithin die erkennenden und handelnden Subjekte – immer schon geschlechtlich konstituierte sind. Im Zuge ihrer Subjektwerdung sind sie vom ersten Tag an mit der gesellschaftlichen Norm konfrontiert, sich mit dem männlichen oder weiblichen Geschlechtscharakter zu identifizieren. Dieser Prozess ist von maßgeblicher Bedeutung für die individuelle Lebensgeschichte. Er determiniert die Bedürfnisstruktur der Subjekte und ihre psychischen Dispositionen, den Umkreis ihrer erworbenen Fähigkeiten und Beziehungen zur Welt und zu ihren Mitmenschen, ihr Alltagsleben und ihren konkreten Erfahrungshorizont. Dies macht sich auch in den unterschiedlichen theoretischen und praktischen Interessen bemerkbar, die Männer und Frauen im Zuge ihrer Bildungsgeschichte ausprägen, den unterschiedlichen Foki, die sie in ihrer politischen Arbeit setzen – es ist das gesellschaftliche Sein der Menschen, das ihr Bewusstsein bestimmt.

Dass sich die Strebungen durchaus entlang der Geschlechtergrenzen unterscheiden, zeigt die Erfahrung aus unserer eigenen theoretischen Praxis. Zu einer Veranstaltung über riots in den schwedischen Vorstädten oder den Arbeiter_innenkämpfen im italienischen Logistiksektor strömen scharenweise angry young men, die man gerne auch bei der Diskussionsrunde zur Arbeitsteilung in heterosexuellen Paarbeziehungen begrüßt hätte. Da quillt der Saal dann wiederum von jungen Frauen über. Sie hängen der Referentin an den Lippen, weil das Gesagte sie trifft. Ihre boyfriends hatten da wohl schon etwas anderes vor. Vielleicht saßen sie zusammen in einer Kneipe und haben – wie schon ihre (geistigen) Väter und Großväter – Kurskorrekturen für die Weltpolitik erarbeitet oder sich über sublime Probleme der Wertformanalyse den Kopf zerbrochen. Sie vermieden es in jedem Falle, den Blick auf sich zu richten. Frauen ist diese Blickrichtung auf das sich in großen Teilen in Familie und Liebesbeziehungen abspielende Alltagsleben anscheinend geläufiger, werden sie doch fixiert auf Beziehungsarbeit, auf emotionale und leibliche Umsorgung ihrer Nächsten, die ihrerseits gerne in die – nicht nur intellektuelle – Ferne schweifen, sobald sie können. Die Abwendung des Blicks von diesem Naturgrund der bürgerlichen Gesellschaft, seine Verdrängung zugunsten einem Leben und Weben in diversen »idealistischen Superstrukturen« (Marx) ist herrschaftlich im vollsten Sinne des Wortes und fußt auf einer Geschichte der Ausbeutung in einer klassengesellschaftlichen und geschlechtlichen Arbeitsteilung. Sowohl ›Klasse‹ als auch ›Geschlecht‹ sind Abstraktionen. So wie der Bourgeoise in der bürgerlichen Gesellschaft nur freie und gleiche Individuen erblickt und die Klassenherrschaft ignorieren kann, weil er die Herrschaft ausübt, so kann der Klassenkämpfer sein männliches Geschlecht ignorieren, weil er die Herrschaft über die Frauen – das Geschlecht schlechthin – ausübt. »Er ist in der Familie der Bourgeois, die Frau repräsentiert das Proletariat.« (Friedrich Engels 1975: 75)

Die erkenntniskritische Pointe dieser Beobachtungen lautet, dass auch Kommunisten in ihrem Tun ganz naturwüchsig dazu neigen, einen klassischen male bias zu reproduzieren, wie er auch für die Mehrheitsgesellschaft charakteristisch ist. Der Kommende Aufprall moniert zwar zu recht »die Abstraktheit der Kämpfe linker Politgruppen, die ihren Blick immer an sich selbst vorbei auf die Abschaffung des Kapitalismus richten.« (AKK 2015: 7) Doch wenn wir diesen Blick auf uns selbst richten, sehen wir eben nicht, wie die Autor_innen, eine geschlechtslose lohnabhängige Klasse, sondern lohnabhängige Männer und lohnabhängige Frauen, die in entfremdeten Verhältnissen mit- und gegeneinander leben.

 

Gemeinsam Probleme haben

In der Entfremdung, die das Geschlechterverhältnis bedeutet, fühlen sich Männer wohl wie der Fisch im Wasser, weil sie die Entfremdung als ihre eigne Macht wissen und in ihr den Schein einer menschlichen Existenz besitzen. Es ist der durch Gewalt erzwungene Schein von Individuierung und Freiheit, den das männliche Subjekt erringt, indem es die Frauen reduziert auf einen pauschalen Geschlechtscharakter ›Frau‹, dem jede Individuierung versagt bleibt. Frauen sind in der Entfremdung des Geschlechterverhältnisses vernichtet, weil sie in ihr die Ohnmacht und Abhängigkeit erfahren, dass ›Frausein‹ sich immer wieder als Gefahr für Leib und Leben, sowie als Grenze zu Räumen, Fähigkeiten, Rollen, Anerkennung, Freiheit darstellt. Frauen sind nicht einfach Rapperin oder Programmiererin oder Archäologin. Sie sind wesentlich Frau und damit ein nicht notwendig durch solche individuellen Tätigkeiten weiter zu spezifizierendes Genitivobjekt eines Rappers, eines Programmierers oder eines Archäologen.

Die Autor_innen des Kommenden Aufpralls gehen davon aus, dass sich ein revolutionäres Subjekt über die Geschlechterspaltung hinweg auf der Grundlage objektiver, gemeinsamer Interessen, sowie der subjektiven Einsicht in dieselben konstituieren kann. Das Proletariat sei zwar tatsächlich in sich heterogen, dennoch könnten und sollten die Proletarisierten letztlich zu der Einsicht gelangen, »dass ihre unterschiedlichen Positionen und die damit einhergehenden Gründe zu kämpfen einem gemeinsam geteilten Problemzusammenhang entspringen« (AKK 2015: 14). Das ›Problem‹ des Geschlechterverhältnisses ist aber eines, das Männer und Frauen ›nicht‹ auf gleiche Weise teilen. Denn die Abspaltung des ›Weiblichen‹ an sich selbst, sowie seine Verwerfung, Fixierung und Erniedrigung in der Person seiner leiblich-konkreten Trägerinnen, der Frauen, ist konstitutives Moment männlicher Subjektivität. Das Geschlechterverhältnis taugt also nicht so recht zum Teilen ›gemeinsamer‹ Probleme.

Die Versicherung der Antifa Kritik und Klassenkampf, die proletarischen Subjekte nicht homogenisieren zu wollen, setzt an die Stelle der falschen Vorstellung des Proletariats als homogenem Subjekt die zeitgemäße Vorstellung des Proletariats als buntfröhlicher Vielfalt. Hier gibt es zwar Differenzen, aber, genau wie in der älteren Vorstellung, keine wirklichen Gegensätze. Daher kann nach einer Konzession an die Heterogenität des Klassensubjekts schnell zum gemeinsamen Kampf gegen den gemeinsamen, äußeren Feind, das Kapital aufgerufen werden. Implizit werden so alle sozialen Kämpfe zu Kämpfen nach dem Schema ›Klasse gegen Klasse‹ – wir werden das für die feministischen Kämpfe unten noch zeigen. Dies verschleiert aber, dass es sich bei den Kämpfen »gegen (…) andere (rassifizierte, vergeschlechtlichte) Ausbeutungsverhältnisse"(ebd.: 14) oftmals um Kämpfe ›innerhalb‹ der Klasse der Lohnabhängigen handelt. Die reale Spaltung der Klasse entlang des hierarchischen Geschlechterverhältnisses bleibt im Kommenden Aufprall außen vor.

In der Sylvesternacht 2015 haben die aufs Kölner Pflaster geworfenen Überflussproletarier mannhaft bewiesen, dass es trotz aller Deklassierung dem Mann immer möglich ist, die eigene Ohnmacht mit Gewalt an Frauen auszulassen und sie zu erniedrigen. Wer sich vom "System gefickt" fühlt, fickt Frauen, um in einem autoritären, mythischen Akt die eigene Ohnmachtserfahrung an denen auszuagieren, die in der gesellschaftlichen Hierarchie unten stehen. Auf keinen Fall darf mann sich selbst passiv lustvoll ficken lassen. Noch die Rhetorik vieler Linker strotzt nur so vor diesen Affekten: »Fuck the system!« Die Kompensation der Erfahrung, in dieser Gesellschaft über das eigene Leben nicht praktisch bestimmen zu können, äußert sich auch - aber nicht nur - in drastischer Gewalt. In Kultur und Kulturindustrie wimmelt es vor Bildern, die – wo reale Ohnmacht herrscht – die Illusion von Aktivität und Autonomie verkaufen. In den Männerwelten der Computerspiele können die Krieger, echte Helden, noch Abenteuer erleben, Strategien entwickeln und die Welt neu entwerfen. Das fetischisierte Bild der virilen Aktivität braucht aber als dialektisches Komplement die Objektivierung der Frau, ihre Stillstellung und Versteinerung in einem Bild, dessen Fratze aus allen Kinofilmen, aus jeder GMX-Werbung guckt. Sie ist der beschlagnahmte und fragmentierte Körper, das Bild der gefürchteten, gehassten und ersehnten Passivität. Diese Dimensionen - sexuelle Gewalt, Objektivierung und Verdinglichung der Frauen - des Geschlechterverhältnisses sind in dem Kommenden Aufprall weitgehend Anathema. Doch ist diese Abspaltung kein Zufall, sondern durchaus konform mit der Hauptlinie der kommunistischen Tradition, was etwa Clara Zetkins Erinnerungen an Lenin und die mit ihm geführten Gespräche über die sogenannte Frauenfrage offenbaren. Die Frauenbewegung hat wohl verstanden, dass Lenin und Konsorten ihre universellen Emanzipationskämpfe für eine Revolutionierung des Geschlechterverhältnisses als bürgerliches »Herumwühlen im Sexualleben« (Lenin) diskreditierten, pathologisierten und auf diesem Wege aus der proletarischen Bewegung zu exorzieren trachteten – sie haben ihre Schlüsse daraus gezogen und sich autonom organisiert. Die perennierende politische Spaltung zwischen kommunistischer und feministischer Bewegung ist daher bis auf weiteres eine notwendige. Nicht als Resultat einer manipulativen Strategie der herrschenden Klasse gegen das Proletariat, sondern als Ausdruck einer immer wieder vollzogenen Abspaltung und Halbierung der Emanzipation durch die kommunistische Bewegung selbst. 

 

Auf eigenem Terrain

Wie gesagt ist es wenig verwunderlich, dass für den Feminismus die Kritik der Gewalt, der Repräsentationen und der Bilder so dringlich ist. Diese Momente des Feminismus fallen allerdings nicht ins Terrain der Antifa Kritik und Klassenkampf. Sie richtet ihr Augenmerk ausschließlich auf diejenigen feministischen Kämpfe, die tatsächlich vor allem Klassenauseinandersetzungen sind: auf die Kämpfe in der bezahlten Care-Arbeit. Eine Zuwendung zu den Sektoren der Sorge-, Pflegearbeit und Erziehungsarbeit ist durchaus sinnvoll, da die bis in die 1980er Jahre in der Hausfrau zentrierten Tätigkeiten zunehmend zerlegt und kommodifiziert werden in Hausarbeiterin, Leihmutter, Erzieherin, Pflegerin und Prostituierte und damit immer mehr Aspekte der bisher nicht-kommodifizierten Ausbeutung und Erniedrigung als Lohnarbeit verrichtet werden. Dadurch werden Tätigkeiten, die traditionell unentlohnt von Frauen verrichtet wurden, vermehrt zum Gegenstand von Kämpfen für mehr Lohn und weniger Arbeitszeit. Somit gibt es zwar zunehmend Klassenauseinandersetzungen von Lohnarbeiterinnen in feminisierten Sektoren, ohne dass darum feministische Kämpfe generell unter den Begriff des Klassenkampfs subsumiert werden könnten. Diese Subsumtion führt entweder dazu, dass der Begriff Klassenkampf bis zur Beliebigkeit erweitert und um seine ökonomische Substanz gebracht wird, oder aber – und das scheint im Kommenden Aufprall der Fall zu sein – feministische Kämpfe - der Streit der Frauen - werden reduziert auf ihre ökonomische Dimension.

Man sollte sich allerdings darüber im Klaren sein, dass es in diesen Kämpfen vornehmlich nicht der Männermacht, der Männergewalt und dem frauenfeindlichen Geschlechterverhältnis an den Kragen geht, sondern im besten Fall dem Kapital. Ebenso wenig sollte man sich der Illusion hingeben, die Selbstbefreiung der Frau vollziehe sich schon durch ihre Integration in die Lohnarbeit und ihre Organisierung als klassenbewusste Arbeiterinnen. Frauen sollen sich auf diesem Wege gnädigerweise zu Männern ›emanzipieren‹, was keiner vernünftigen Frau genug sein kann. Zu all der Verkümmerung, die die weibliche Subjektivität bedeutet, dürfen Frauen auch noch die seelische Beschädigung der männlichen Subjektivität übernehmen. Frauen sind heute beides: leistungsbereiter, in der Konkurrenz sich knallhart durchsetzender Mann, der – by the way – schlechter verdient als die ›wirklichen‹ Männer und zugleich für den ›Gefühlshaushalt‹ der Nächsten sorgende, immer für andere, nie für sich seiende Frau. Frauen sind heute Lohnarbeiterin und zugleich Blitzableiter für den Mann, der alles Weibliche beneidet, fürchtet, hasst und begehrt. Obwohl diese Melange des Frau-Mann-Seins für Frau noch immer gefährlich, für zu viele Frauen tödlich ist, hat diese Entwicklung der letzten 40 Jahre den Spielraum für Frauen in den westlichen Gesellschaften auch erweitert. Das möchte selbstverständlich keine missen.

Eine ökonomische Betrachtung der Care-Arbeit als Feld von Klassenauseinandersetzungen lässt darüber hinaus die Frage offen, weshalb es gerade Frauen sind, deren Arbeit weniger wert ist, oder – von der Seite der Tätigkeit aus formuliert – weshalb bestimmte Tätigkeiten gesellschaftlich nicht anerkannt sind und gerade den Frauen zugeschoben werden, oder vielmehr: mit ihrem Geschlechtscharakter geradezu verwachsen scheinen. Diejenigen Arbeiten sind weibliche Arbeiten, in denen die grundlegende, existentielle Abhängigkeit des Einzelnen von Anderen nicht verschleiert werden kann, Arbeiten, die mit der (Un)Beherrschbarkeit von Körperöffnungen zu tun haben, Arbeiten mit denen, die sabbern und scheißen ohne ihre Körper im Griff zu haben, Arbeiten mit denen, die sofort sterben würden ohne Sorge, Zuwendung und Pflege. Arbeiten, die die Erinnerung an die eigene leibliche Abhängigkeit wach ruft. Der totale Horror für das männliche Subjekt. Die geschlechtliche Arbeitsteilung verweist auf die patriarchale Geschlechterordnung, die älter ist als die bürgerliche Gesellschaft und die von den vergeschlechtlichten Subjekten psychosexuell verinnerlicht wurde. Dieses Moment lässt sich mit polit-ökonomischen Kategorien nicht erfassen und kritisieren.

 

Klassenbewusstsein und noch weiter

Sowohl das Klassenbewusstsein, als auch das feministische Bewusstsein bleiben oftmals als solche borniert und reproduzieren auf diese Weise verschiedene Entfremdungen. Soll dies im Sinne einer wirklichen, universellen gesellschaftlichen Emanzipation vermieden werden, müssen sich beide tendenziell zu einem kommunistischen Gattungsbewusstsein hin entwickeln, das ›alle‹ Hierarchien und Trennungen innerhalb der menschlichen Gattung theoretisch und praktisch negiert. Betrachtet man dies von der Seite des Klassenbewusstseins, so bedeutet das, dass dieses seinen naturwüchsigen Entstehungsgrund im Produktionsprozess und den dort geführten Kämpfen transzendieren muss. Ganz schematisch und leider ohne geschichtsphilosophischen Rückenwind gesprochen:

Klassenkämpfe entstehen zunächst als Kämpfe für grundlegende Rechte und die Bildung von Gewerkschaften, die die Konkurrenz unter den Arbeiter_innen abzuschwächen versuchen. Das darin enstehende Klassenbewusstsein hat wesentlich defensiven Charakter, denn es handelt sich um fundamentale Abwehrmaßnahmen gegen den zerstörerischen Heißhunger des Kapitals. In einem weiteren, politischen Sinn sprengt das Klassenbewusstsein diese enge, rein ökonomische Dimension, indem es gerade auf die Aufhebung der ›partikularen‹ ökonomischen Interessen der Lohnabhängigen zielt, wie sie sich durch die ökonomische Fragmentierung der Klasse in verschiedene Arbeitszweige, Hierarchien, Unternehmen usw. notwendig ergeben. In der weiteren, politischen Perspektive wäre Klassenbewusstsein das Bewusstsein von der Möglichkeit und Notwendigkeit der Aneignung der gesellschaftlichen Produktion und ihrer bewussten Organisation durch die assoziierten Produzent_innen selbst. Erlangt das Klassenbewusstsein diese Tiefe, so hat es wesentlich offensiven Charakter. Die politische Idee des Kommunismus umfasst jedoch nicht nur den bewussten Übergang zu einer neuen Produktionsweise, einer neuen Form der Organisation gesellschaftlicher Arbeit als Stoffwechselprozess mit der Natur. Sie zielt vielmehr auf die – allein auf jener politisch-ökonomischen Grundlage zu realisierende – freie Entwicklung der Individuen und die Humanisierung aller menschlichen Beziehungen, auf eine Gesellschaft also, in der »der Mensch das höchste Wesen für den Menschen sei«. Der über alle ökonomischen oder politischen Fragen hinausweisende kategorische Imperativ des Kommunismus ist es daher, »alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist.« Die wirkliche historische Bewegung, in der sich dieser kategorische Imperativ Geltung verschaffen kann, vollzieht sich in einander überlagernden, verstärkenden, aber auch ständig konflikthaft kollidierenden Emanzipationskämpfen, wobei Klassenkämpfe und die feministischen Kämpfe um die Geschlechterordnung die Epizentren einer wirklichen Umwälzung darstellen. Freilich unterscheiden sich diese Kämpfe in ihren Mitteln und Ausdrucksweisen, sowie nicht zuletzt in der Zeitlichkeit der in ihnen angestrebten Veränderungen. Während sich besonders die Zerschlagung der Staatsmaschinerie als ein konzentriertes ›Umwerfen‹ derselben vorstellen lässt, lässt sich die notwendige Veränderung und Selbstveränderung der (eigenen) geschlechtlichen Subjektivität und des Geschlechterverhältnisses kaum anders denken, denn als ein langwieriger, kulturrevolutionärer Prozess, der sich von Zeit zu Zeit auch eruptiv, insgesamt aber eher peu à peu in den zwischenmenschlichen Beziehungen des Alltagslebens und einer neuartigen kulturellen Produktion vollziehen wird.

 

Kat Lux, Johannes Hauer, Marco Bonavena.

Die Autor_innen diskutieren im Lektürekurs »Geschlecht und Arbeit« der Leipziger translib

 

 

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Antifa Kritik und Klassenkampf (2015): Der kommende Aufprall. Strategische Überlegungen auf der Suche nach der Reißleine, Frankfurt.

Marx Karl/Engels Friedrich (1976): Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie, in Marx Engels Werke 1 (MEW 1), Berlin.

Marx Karl/Engels Friedrich (1975): Der Urpsrung der Familie, des Privateigentums und des Staates, in Marx Engels Werke 21, Berlin.

Zetkin, Clara (1925): Erinnerungen an Lenin, Berlin.