Schwangerschaftsabbrüche in Zeiten der Corona-Pandemie

Ich bin schwanger. Zwei rosa Striche auf dem Schwangerschaftstest sind der Beweis. „Fuck“ – Ich schaue mehrmals von der Packungsbeilage zurück auf die Anzeige, um sicherzugehen, dass ich mich nicht verguckt habe. Das kann doch eigentlich gar nicht sein, denke ich, schließlich habe ich verhütet. Die Wahrscheinlichkeit trotz Kupferspirale schwanger zu werden, liegt bei 0,3 bis 0,8 Prozent, wie ich nach kurzem googeln herausfinde. Nicht sehr wahrscheinlich also. Und doch sitze ich hier mit einem positiven Schwangerschaftstest in der Hand. Ich bin nicht traurig, ich bin nicht fröhlich, ich bin einfach nur genervt.

Seit einer Woche befindet sich ganz Deutschland im Lockdown. Es ist unklar, wie lange das so bleiben wird. Meine sozialen Kontakte habe ich binnen kürzester Zeit auf ein Minimum reduziert, der Semesterbeginn wurde vorerst verschoben und bis auf Supermärkte hat kaum etwas geöffnet. Die ganze Situation ist absurd – und jetzt bin ich auch noch schwanger.

Ich fange an meine Optionen durchzugehen: Das Thema Schwangerschaftsabbruch ist mir nicht völlig fremd. Durch meine politische Sozialisation habe ich mich bereits mit reproduktiven Rechten beschäftigt. Ich habe gegen christliche Fundamentalist_innen und für ein Recht auf Abtreibung demonstriert. Und trotzdem bin ich in dieser Situation ganz schön überfordert. Ein Schwangerschaftsabbruch während des Lockdowns – wie geht das überhaupt?

Um in Deutschland einen Schwangerschaftsabbruch durchführen zu können, sind mehrere persönliche Termine notwendig: Zuerst muss die Schwangerschaft gynäkologisch bestätigt werden, dann muss die Schwangere eine gesetzlich vorgeschriebene Pflichtberatung wahrnehmen, erst dann kann der Abbruch selbst durchgeführt werden – operativ oder medikamentös – und zuletzt folgt eine Nachuntersuchung. Können die Kosten für den Abbruch von der Krankenkasse übernommen werden, ist auch hier ein persönlicher Termin nötig. Kontakte zu vermeiden, wie es zur Eindämmung des Virus erforderlich ist, ist dabei nicht möglich.

Viele ungewollt Schwangere sind bereits unter normalen Umständen vor organisatorische Herausforderungen gestellt, wenn sie eine Schwangerschaft abbrechen wollen. Denn eine Schwangerschaft abzubrechen ist in Deutschland verboten und nur bis zur 12. Schwangerschaftswoche straffrei möglich – es gibt Auflagen und oft herrscht Zeitdruck. Neben den verschiedenen Terminen bei Ärzt_innen ist eine Schwangerschaftskonfliktberatung verpflichtend vorgeschrieben, bei der der Schwangeren ein Beratungsschein ausgestellt wird. Nur mit diesem Schein und nach drei Tagen Bedenkzeit ist ein Schwangerschaftsabbruch straffrei möglich. Übernimmt die Krankenkasse die Finanzierung des Abbruchs nicht, ist dieser außerdem teuer. Zwischen 200 und 600 Euro muss eine Schwangere für einen Abbruch selbst zahlen, wenn ihr Einkommen über 1.100 Euro im Monat liegt. Hinzu kommt, dass immer weniger Ärzt_innen Abbrüche durchführen. Insbesondere in ländlichen Gegenden ist deswegen der Weg zum Abbruch weit – teilweise bis zu 200 Kilometer.

Die Corona-Pandemie verschärft viele der bereits existierenden Probleme und stellt Beratungsstellen, Kliniken und ungewollt Schwangere vor neue Herausforderungen. Aufgrund von mangelnder Schutzausrüstung, Schichtbetrieb und Quarantäne gibt es Einschränkungen in Beratungsstellen, Praxen und Kliniken. Eine Sorge vieler Aktivist_innen und Ärzt_innen ist, dass Kliniken Schwangerschaftsabbrüche nicht als Notfallbehandlung, sondern als elektive Leistung betrachten könnten und diese aufgrund der Pandemie nicht mehr durchführen. Die Ausgangssperre und die Kontaktbeschränkungen führen außerdem zu zusätzlichen Zugangsproblemen für ungewollt Schwangere: Zu Hause können durch Schul- und Kitaschließungen permanente Betreuungsaufgaben anfallen, die Schwangere kann selbst in Quarantäne sein oder muss durch den eingeschränkten ÖPNV lange und umständliche Wege in Kauf nehmen. Hinzu kommt bei der Frage nach der Kostenübernahme für den Schwangerschaftsabbruch, dass die Krankenkassen wegen der Pandemie geschlossen haben. Einige Aktivist_innen und Ärzt_innen fordern deshalb eine Onlineantragstellung für die Kostenübernahme und eine Onlinezustellung der Kostenübernahmeerklärung. Sie fordern zudem, den medikamentösen Abbruch mit telemedizinerscher Betreuung bis zur neunten Schwangerschaftswoche zu ermöglichen. Dadurch wäre ein persönlicher Termin weniger notwendig. Diese Möglichkeit gilt unabhängig von der Corona-Pandemie als sicher und ist mit Richtlinien der WHO vereinbar.

Wie in vielen anderen Bereichen, wirkt die Pandemie auch bei Schwangerschaftsabbrüchen als Beschleuniger für Digitalisierung. Einige Krankenkassen reagieren schnell und ermöglichen die Antragstellung für die Kostenübernahme online. Ähnliches gilt für die verpflichtende Beratung. Viele Bundesländer, darunter auch Hessen, erkennen die Notwendigkeit, die Gespräche aufgrund der Pandemie telefonisch oder über Videochat durchführen zu können. Zwei Hindernisse, zwei zusätzliche Kontakte, fallen somit weg. Hierin zeigt sich eine Chance, die über die Pandemie hinausreichen könnte. Wenngleich der persönliche Kontakt bei solch einem intimen Gespräch positiv sein kann, ist es für viele ungewollt Schwangere auch eine Erleichterung, nicht persönlich anwesend sein zu müssen. Das garantiert außerdem eine größere Auswahl an Beratungsstellen, wenn diese im unmittelbaren Umfeld nicht gegeben ist. Die Möglichkeit, ein professionelles Beratungsgespräch in Anspruch nehmen zu können, wenn einem die Entscheidung für oder gegen eine Schwangerschaft schwerfällt, ist ungeheuer wichtig. Durch die Verpflichtung zum Gespräch und die vorgeschriebenen drei Tage Bedenkzeit danach, wird den Schwangeren jedoch das Recht auf körperliche Selbstbestimmung abgesprochen. Besser wäre es, das verpflichtende Beratungsgespräch gleich ganz abzuschaffen.

Während ich über der Entscheidung bezüglich meiner Schwangerschaft brüte, wird mir klar, dass ich die mir selbst auferlegten Kontaktbeschränkungen in dieser Konsequenz nicht werde fortführen können. Neben den Gesprächen mit meinem Partner brauche ich Ablenkung und Unterstützung von meinen Freundinnen. Ich merke, dass ich nicht frei bin von den gesellschaftlichen Bildern und Erwartungen rund um Schwangerschaft und Weiblichkeit. Die Entscheidung fällt mir nicht leicht und allein sein ist in dieser Phase keine gute Option. Zusätzlich zu den nicht coronabedingten Unsicherheiten bezüglich einer ungeplanten Schwangerschaft, kommen nun neue Fragen hinzu: Ist das Coronavirus für die Schwangerschaft gefährlich? Wie könnte ich gebären – müsste ich wirklich allein in den Kreissaal? Auch diese Fragen bewegen mich letztlich dazu, mich für einen Abbruch zu entscheiden und gehören zum Komplex von Schwangerschaftsabbrüchen während der Corona-Pandemie dazu.

Die abgedroschene Phrase des Brennglases, unter dem gesellschaftliche Missstände durch die Corona-Pandemie deutlich werden, trifft auch auf die prekäre Situation ungewollt Schwangerer zu. Das Recht auf körperliche Selbstbestimmung und reproduktive Gesundheit wird durch bürokratische und finanzielle Hürden eingeschränkt. Die Hindernisse, die ungewollt Schwangere für einen Abbruch überwinden müssen, werden durch die Pandemie verstärkt. Zugleich zeigen sich in dieser Phase Potentiale, die einen leichteren und gerechteren Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen ermöglichen. Neben den Möglichkeiten, die Online-Angebote und telemedizinische Betreuung bieten, gilt es jedoch nach wie vor für einen wirklichen Abbau der bürokratischen Hindernisse zu kämpfen und einen sicheren Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen für alle zu ermöglichen.

Josephine von der Haar

 

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