diskus:  Hallo Emilia, danke, dass Du Dir heute die Zeit nimmst, mit uns zu sprechen. Die Kampagne „Kein Einzelfall“ läuft zum Prozessstart gegen Franco A. an. Was ist Eure Kritik am Verfahren, noch bevor es überhaupt richtig losgegangen ist?

Kein Einzelfall: Es ist ja erstmal ein Skandal, dass der Prozess fast geplatzt wäre. Franco A. ist im April 2017 festgenommen worden und wir haben jetzt Mai 2021. Das heißt, es hat vier Jahre gedauert, bis er überhaupt vor Gericht gebracht wurde. Insgesamt ist der Umgang des Staates mit rechtsterroristischen Gruppen grundsätzlich problematisch. Dass er nicht fähig oder willig ist, vollumfänglich aufzuklären, dafür gibt es verschiedenste Beispiele:

Der NSU, wo die Helfer_innen drei Jahre nach Ende des Gerichtsprozesses immer noch auf freiem Fuß sind, obwohl wir wissen, dass es nicht nur ein Trio war. Rechtsterroristische Gruppen wie Nordkreuz, – die übrigens auch eine Verbindung zu Franco A. aufweisen – deren Mitglieder nur vereinzelt vor Gericht gekommen sind und nur mit geringen Strafen verurteilt wurden, obwohl sie zum Beispiel massenhaft Kriegswaffen gebunkert hatten. Diese Fälle zeigen uns, dass der Staat diese Prozesse nicht tiefgehend genug führt, weil eben oft von der Idee des Einzeltäters ausgegangen wird. Wir wollen deutlich machen, dass hinter jedem Einzeltäter ein Netzwerk steht.

 

diskus:  Der Prozess wäre also fast geplatzt und es hat vier Jahre gebraucht, bis er überhaupt aufgenommen wurde. Seht ihr weitere konkrete Versäumnisse bei den verschiedenen staatlichen Institutionen wie Polizei, Staatsanwaltschaft und der Bundeswehr?

Ein konkretes Versäumnis ist, dass Franco A. nur sehr kurz in Untersuchungshaft saß und seitdem frei herumlaufen kann. Es gibt aber auch weitere Punkte zu den Ermittlungen, zum Beispiel zu den Durchsuchungen: Bis heute sind immer noch Waffen aus den Beständen der Bundeswehr verschwunden. Schon sehr früh hätte alarmierend sein müssen, dass seine Abschlussarbeit des Studiums bei der Bundeswehr wegen rechtsnationalistischer Inhalte abgelehnt wurde. Das ist von der Bundeswehr nicht gemeldet worden, stattdessen durfte er einfach einen zweiten Versuch starten. Es gab einige Vorzeichen, dass es sich bei ihm eben nicht um einen unbescholtenen Soldaten handelt, sondern dass er schon seit vielen Jahren in dieser extrem rechten Ideologie verfangen ist und diese lebt. Vorzeichen, die, wie so oft, von den Behörden ignoriert wurden.

 

diskus:  Um das alles sichtbar zu machen, sprecht ihr als Kampagne die Öffentlichkeit an – dazu gehört auch die Berichterstattung. Wie schätzt ihr ein, wie der Prozess bis jetzt medial begleitet wird?

Wir sehen, dass sehr viele Medienhäuser und Journalist_innen auf die Medienstrategie von Franco A. hereinfallen und aufspringen. Er geht ganz bewusst und proaktiv an die Öffentlichkeit und nutzt diese, um von seinen Plänen abzulenken. Unser Anspruch ist, genau diese Berichterstattung in verschiedenen Medien aufzubrechen, weil wir ihm die Rolle eines harmlosen Bundeswehrsoldaten nicht abnehmen. Wir wollen mit unserer Gegenöffentlichkeit darauf aufmerksam machen, dass ein Nazi nicht entzaubert wird, wenn man ihn zuhause besucht oder mit ihm einen Äppler in der Apfelweinkneipe trinkt. Man muss ihn konkret auf seine extrem rechten Haltungen und Äußerungen prüfen und ihn als Nazi ernst nehmen, statt ihn zu verharmlosen.

 

diskus:  Meint ihr damit die zahlreichen Homestories die über ihn produziert werden, die seine Lebenswelt zeigen und „mit Rechten reden“ wollen?

Ja, wir nehmen das als aktive Selbstverharmlosung von seiner Seite aus wahr. Im Laufe der Kampagne werden wir uns auch noch intensiver damit auseinandersetzen und auch auf die Homestories eingehen. Wir rufen Journalist_innen und eine kritische Öffentlichkeit dazu auf, dieses unsägliche Format einzustampfen, sich nicht mit Nazis auf einen Kaffeeplausch zu treffen, sondern Betroffene zu Wort kommen zu lassen.

 

diskus:  Wie sähe für Euch ein angemessener öffentlicher Umgang damit aus, wie könnte man es besser machen?

Gerade in Bezug auf Rechtsterroristen und extrem rechte Aktivist_innen sollte auf die Expertise von Antifaschist_innen gesetzt und ihnen Gehör verschafft werden. Auch Betroffene sollten stärker zu Wort kommen. Das ist manchmal auch gelungen: Der bayerische Rundfunk zum Beispiel hat einen Radiobeitrag mit Robert Andreasch vom a.i.d.a. Archiv (antifaschistische Informations-, Dokumentations-, und Archivstelle München, Anm. d. Red.) herausgegeben, das begrüßen wir sehr. Das sind Menschen, die sich seit Jahrzehnten mit der rechten Szene auseinandersetzen und eine viel bessere Expertise dazu haben.

 

diskus:  Apropos rechte Szene: Wir wollen zu der Frage der Anbindung von Franco A. kommen – Franco A. ist ja nicht in Untersuchungshaft, sondern wohnt immer noch in Offenbach. Wie geht Ihr damit um?

Mit einer Demonstration durch Offenbach haben wir der Stadtöffentlichkeit klarmachen wollen, dass Franco A. in Offenbach aufgewachsen ist und dort seine Homezone hat. Das war lange nicht bekannt und schon gar nicht, dass er dort auch seine Waffen gelagert hat. Darauf wollen wir auch die direkte Nachbarschaft aufmerksam machen, damit sie wissen, wem sie da in den letzten Jahren begegnet sind. Letztes Jahr im Sommer war er beispielsweise in einen Streit in der S-Bahn in Offenbach verwickelt, weil er keine Maske aufsetzen wollte und verschwörungsideologisch dagegen argumentiert hat. Wir wollen durch unsere Kampagne klar machen, dass sich Nazis unserer Meinung nach hier zu frei und sicher bewegen können.

 

diskus:  Wie ist Franco A. lokal und darüber hinaus in die rechte Szene eingebunden?

Franco A. ist mit dem Uniter Verein vernetzt, wie die Anbindung an Prepper Gruppen ist, muss noch geklärt werden. Im eben erwähnten Beitrag vom BR spricht der Autor auch von einem Holocaustleugner-Treffen in München, bei dem Franco A. einen Vortrag gehalten und zu Umsturzplänen aufgerufen hat. Das sind nur Ausschnitte von dem, was bisher bekannt ist.

Es ist uns aber auch wichtig darauf aufmerksam zu machen, dass er nicht nur in Deutschland vernetzt ist, sondern europaweit. Franco A. hatte Kontakte nach Wien, hat unter anderem ein Foto seines Waffenverstecks in eine Chatgruppe mit einer Wiener Person gepostet. Außerdem ist bekannt, dass er Stationen in Frankreich und England hatte, bei denen noch unklar ist inwiefern er dort relevante Kontakte geknüpft hat.

 

diskus:  In welchem Kontext seht Ihr Euch selbst, also welche vergleichbaren Initiativen gibt es und inwiefern beruft ihr Euch auf diese Initiativen?

Am bekanntesten ist NSU Watch, die seit Jahren rechtsterroristische Prozesse begleiten. Auch in Halle gab es eine Kampagne zum Prozess gegen den Täter des Anschlags auf die dortige Synagoge. Diese Initiativen, die hier nur beispielhaft genannt werden können, sind wichtige Bezugspunkte unserer Arbeit. Prozesse gegen Rechtsextreme werden häufig verschleppt und verharmlost und auch in der breiten Medienöffentlichkeit spielen sie meist keine große Rolle. Deshalb ist es entscheidend, dass es Menschen gibt, die sich täglich in diese Verhandlungen setzen, die Informationen verarbeiten und öffentlich machen. Dadurch sorgen sie für eine kontinuierliche kritische Berichterstattung abseits der aufsehenerregenden Fälle oder Termine.

 

diskus:  Woraus besteht über den konkreten Fall hinaus Eure mittel- und langfristige Perspektive? Das Problem von „Kein Einzeltäter“ ist ja nicht neu.

Wir erwarten nicht, dass die Gerichtsprozesse eine vollumfängliche Aufklärung leisten. Wir setzen auf antifaschistische Recherchen und möchten gleichzeitig daran erinnern, dass sich unsere Kritik nicht nur auf die Urteile beschränkt, sondern dass man diese immer in einen viel größeren Kontext setzen muss. Man muss schon bei der Ermittlungsarbeit von Polizei und Staatsanwaltschaft ansetzen, weil der Staat keine Ahnung von Nazis und keinen wirklichen Aufklärungswillen hat, was rechtsextreme Akteur_innen angeht. Dazu gehört natürlich auch der Verfassungsschutz, dessen Abschaffung wir fordern, da er nicht nur im NSU-Komplex eine unsägliche Rolle gespielt hat.

 

diskus:  Ihr sprecht Eure Kritik an staatlichen Ermittlungen gegen rechte Strukturen schon an. Wie würdet Ihr diese charakterisieren?

Wie unser Name schon sagt, legen wir sehr viel Wert darauf, dass das Konzept des Einzeltäters ein Mythos ist. Wenn es um Rechte geht, erzeugt der Staat diesen Mythos regelmäßig, indem nur gegen Einzeltäter ermittelt wird, nicht jedoch gegen das Unterstützernetzwerk, das deshalb meist unaufgedeckt bleibt. Verfahren wie der NSU- oder der Lübcke-Prozess bestärken Nazis immer wieder, indem nur Einzeltäter verurteilt werden und die Netzwerke davonkommen.

 

diskus:  Während der Staat also rechte Netzwerke und Vereinigungen regelmäßig übersieht, gründet er für Linke proaktiv selbst Vereine, wie im Fall des IVI oder von linksunten.indymedia, um umfangreiche Ermittlungen anstellen und Prozesse führen zu können…

Ganz genau. Gegen Linke wird häufig ganz ohne jede Grundlage ein Verfahren wegen krimineller Vereinigung angestoßen und es werden hanebüchene juristische Winkelzüge angewandt, um besetzte Häuser zu räumen oder Menschen hinter Gitter zu bringen.

Deswegen möchten wir an dieser Stelle unsere Solidarität mit allen Antifaschist_innen im Knast oder mit laufenden Verfahren aussprechen. Wir fordern Freiheit für Lina, Dy und Findus! Antifaschismus ist kein Verbrechen.

 

diskus:  Wie sieht Eure konkrete Strategie für die Zeit des Prozesses aus und mit welchen Formaten plant Ihr ihn zu begleiten?

Unsere Demonstration durch Offenbach haben wir ja schon angesprochen. Wir haben darüber hinaus einen Blog aufgesetzt. Dort wird es zum Beispiel auch einen Zeitstrahl mit vielen Hintergründen zu Franco A und Recherchen zu weiteren rechtsterroristischen Komplexen geben. Unser Vorhaben ist es darüber hinaus, an jedem Prozesstag einen Text zu veröffentlichen, um eine dauerhafte Öffentlichkeit auf den Prozess zu lenken. Über unseren Twitteraccount bekommt man alle Informationen zu unseren Aktionen und Veröffentlichungen auf der Homepage.

 

diskus:  Vielen Dank für das Gespräch.