Die jüngsten Pläne der israelischen Regierung haben momentan verschiedene Protestbekundungen zur Folge. Diese beschränken sich häufig nicht auf die konkret angedachten Maßnahmen, sondern richten sich auch gegen den Staat Israel an sich. Im Folgenden sollen bestimmte Äußerungen und Argumentationsmuster, die in ihrem Grundton antisemitisch sind, aufgezeigt werden. Konkret stehen dabei Äußerungen auf der Demonstration am 01.07.20 in Frankfurt und in Kommentaren zu dieser bei Twitter und Instagram im Zentrum.

 

  1. Der Kontext ist im Großen wie im Kleinen entscheidend. So wird bspw. immer wieder die Nicht-Einhaltung von UN-Resolutionen oder internationalen Vereinbarungen durch Israel betont, dabei jedoch vergessen, dass die arabischen Staaten weder Israel anerkennen noch Verantwortung für den Aufbau Palästinas übernehmen. Jede Maßnahme ist also vor dem Hintergrund eines jahrzehntelangen, blutigen Konflikts zu sehen und was Aktion und was Reaktion ist, mag teilweise schwer zu unterscheiden sein. Es ist daher immer entscheidend, die eigenen Quellen kritisch zu hinterfragen und zu kontextualisieren.
  2. Israel ist kein „Apartheidsregime“. Die Situation ist auf keiner Ebene mit der in Südafrika zu Zeiten der Apartheid vergleichbar, da arabische und jüdische Israelis gleiche Bürgerrechte genießen. Das bedeutet nicht, dass Israel im Gegensatz zu anderen Staaten frei von Rassismus und Diskriminierung wäre. Aber es gibt keine auch nur ansatzweise mit der Apartheid vergleichbare Einschränkung der Grund- und Menschenrechte der muslimischen Bevölkerung in Israel.
  3. Israel macht nicht „das Gleiche was die Nazis mit den Jüd_innen gemacht haben“. Es gibt keine Absicht, keinen Plan und keine Strategie, Personen oder Bevölkerungsgruppen systematisch und umfänglich zu ermorden. Dies ausgerechnet dem Staat der Überlebenden des Holocaust vorzuwerfen, ist eine doppelte Relativierung und Verhöhnung der Opfer des Nationalsozialismus.
  4. „Intifada“ steht für die Strategie, gezielt jüdische, israelische und auch palästinensische Zivilist_innen anzugreifen und zu ermorden. Dazu aufzufordern, oder Beiträge, die dies tun zu teilen, verunmöglicht jede Diskussionsgrundlage.
  5. Der 3D-Test stellt einen Leitfaden bereit, ob israelbezogene Äußerungen antisemitisch sind oder Antisemitismus reproduzieren. Es stellt sich die Frage, ob Israel dämonisiert, delegitimiert oder mit doppelten Standards kritisiert wird: Israel ist kein "Apartheidsregime" und plant keinen "neuen Holocaust". Israel hat ein unumstößliches Existenzrecht und darf sich und seine Bevölkerung dementsprechend verteidigen – im geforderten Palästina „from the river to the sea“ ist Israel jedoch nicht vorgesehen. Warum gelten für Israel andere Standards als für andere Länder und warum wird die palästinensische Bewegung und deren Führung nicht kritisiert sowie der Kontext des jahrzehntelangen Konflikts nicht beachtet?

 

Hiermit sollen grundsätzliche Kritikpunkte in Erinnerung gerufen werden, gerade jetzt, wo das Thema wieder viel Aufmerksamkeit bekommt – auch von sich als solidarisch verstehenden Gruppen. Es ist leicht sich zu empören wo offenbares Leid zu sehen ist; ein Beitrag ist schnell geteilt oder geliked, aber das verleitet auch dazu, die Welt in Gut und Böse zu teilen und sich unkritisch auf die Seite vermeintlicher Opfer zu stellen. Das soll nicht bedeuten, dass alle, auf die einzelne Punkte zutreffen, explizite Antisemit_innen sein müssen, aber gerade auch aus der antirassistischen Bewegung weiß man, dass sich rassistische Stereotypen, Denkweisen und Strukturen auch in progressiven Kämpfen und bei solidarischen Menschen unbewusst und unbeabsichtigt reproduzieren können. Antisemitismus ist nicht bloß eine Spielart des Rassismus, sondern gehört ebenso eigenständig zur grundlegenden Konstitution der modernen, bürgerlichen Gesellschaft. Er ist charakterisiert durch spezifische Denk- und Wahrnehmungsstrukturen, die nicht immer mit ‚den Juden‘ verbunden werden, sich jedoch nicht zufällig immer wieder an Jüd_innen und dem jüdischen Staat Israel entzünden.

Es muss klar sein, dass solche offen antisemitischen Äußerungen, wenn die Problematik bekannt ist, nicht Teil einer progressiven und auf Emanzipation ausgerichteten Bewegung sein können.