Liebe Frau Birgit Sauer (BS), vielen Dank, dass Sie sich für das Interview Zeit genommen haben. Ich steige direkt mal damit ein, zu was sie forschen: die Rolle von Affekten für soziale Bewegungen. Den Begriff Affekte verstehen Sie synonym mit Gefühlen und Emotionen. Wieso ist die Auseinandersetzung damit so wichtig?

BS: Es hat einige Zeit gedauert, bis die Forschung erkannt hat, dass es ein Bewusstsein braucht, wie soziale Bewegungen über Affekte mobilisieren und wie wichtig das ist. Es geht nicht nur um die Mobilisierung von Affekten in Bezug auf das politische System, die sogenannten Gegner*innen oder darum Mitglieder und Anhänger*innen zu gewinnen. Sondern auch um interne Mobilisierung, dass beispielsweise Konflikte innerhalb der Bewegung – mit Arlie Hochschilds Begriff der emotionalen Arbeit gefasst – austariert, ausgehandelt, diskutiert, nachgefühlt werden. Aus meiner wissenschaftlichen Beschäftigung wie auch aus meinen eigenen Erfahrungen, ist es wichtig, diesen Aspekt in Bewegungen zu reflektieren. Für mich sind Gedanken und Gefühle zwei unterschiedliche, aber gleichwertige Formen von Wahrnehmung der Welt, von Interaktion und Kommunikation. So wie unsere Gedanken manchmal durch die Gegend schwirren und sich nicht zusammenfügen zu irgendwas Kohärentes und Nachvollziehbares, so geht es auch mit den Gefühlen. Wir haben viel mehr gelernt, auch im Austausch mit anderen, unsere Gedanken zu sortieren und zu diskutieren. Aber wir haben nicht gelernt, den Gefühlen nachzuspüren, über sie zu reden und über sie zu kommunizieren.

Wie lässt sich der Zugang zu Gefühlen, vor allem in sozialen Bewegungen erlernen?

BS: Dafür braucht es Erfahrungen. Beispielsweise gab es in der frühen Frauenbewegung Selbsterfahrungsgruppen. Das war der Versuch, die Erfahrung von Diskriminierung, Ausgrenzung und Unterdrückung als Mädchen oder Frau auszudrücken. Es war oft sehr kopfbezogen und verbal, aber es ging um Emotionen und Gefühle. Ich fände interessant, auch heute mehr darüber nachzudenken, wie die Reflektion von Gefühlen politisch genutzt werden kann, beispielsweise in Foren oder auf Nachbarschaftstreffen, also dort wo Menschen demokratisches Handeln üben können. Im Kontext von Umweltpolitiken wird mit Mediationsverfahren gearbeitet. Hierbei geht es oft, um Wut oder Angst und darum ein Bewusstsein dafür zu entwickeln. Wichtig ist, den Gefühlen theoretisch wie auch politisch einen Platz zu geben.

In Ihrer Forschung geht es auch um das Spannungsverhältnis zwischen Bewegungen und Gegenbewegungen. Interessant ist, dass „beide Seiten“ auf unterschiedliche Weise Zugriff auf Affekte nehmen. Warum sind rechte Akteur*innen in ihrer Mobilisierung über Gefühle so effektiv?

BS: Ich denke, die Rechten haben erkannt, dass die Parteien und Organisationen überhaupt nicht in der Lage sind auf Emotionen, vor allem Angst, einzugehen. In den letzten 30 Jahren wurde mobilisiert, was ich einen ‚neoliberalen Exzess von Emotion und Affekt‘ nenne. Der neoliberale Umbau der Gesellschaft ging mit Verunsicherung einher. Das ist eine Strategie. In vielen Menschen weckte das die Sorge den Job zu verlieren oder nicht aufzusteigen, was Angst und Scham erzeugt. Die, die können, sollen privat vorsorgen. Das ist neben der Verunsicherung gleichzeitig eine Form von Disziplinierung, die auch Wut generiert. Dass Hartz IV eine Scheißposition ist und Menschen Angst haben, aus ihrer Wohnung rauszufliegen, beschäftigt weder SDP noch die Grünen, die FDP schon gar nicht. Die Linke versucht das immerhin.

Diese „affektive Leerstelle“ haben die Rechten also ausgenutzt. Wie unterscheidet sich ihr Zugriff auf Affekt und Emotion von anderen sozialen Bewegungen?

BS: Die Rechten, die AfD, haben es strategisch gemerkt, dass die anderen Parteien sich nicht mit der Emotionalität der Menschen im Alltag beschäftigen. Affektivität hat etwas sehr Körperliches. Sie ist in allen alltäglichen Praxen präsent, auch wenn man sie nicht immer spürt. Angst und Scham sind so verkörpert und können leicht getriggert und mobilisiert werden. Damit spielen die Rechten. Einige quantitative Studien zeigen in Umfragen, dass es den rechten Parteien gelingt jene Angst und Scham in Wut, gegen bestimmte Gruppen zu transformieren. Sie nutzen dafür eine antagonistische Mobilisierung, die immer über Ausgrenzung funktioniert: „wir gegen die da oben“, „wir gegen die Lügenpresse“, aber vor allem „wir gegen die Migranten“, „wir gegen Gender“. Das ist eine sehr moralische Form von Kommunikation, die hoch affektiv ist. Sie bieten scheinbar einfache Lösungen: wenn keine Migrant*innen herkommen, dann ist die Angst weg. Mit Geschlecht funktioniert das ähnlich. Die Debatte ist hoch emotional. Die Neue Rechte verspricht im Anti-Gender-Kampf: wenn es diesen „Gender-Blödsinn“ nicht mehr gibt, dann könnt ihr wieder in eurer Kleinfamilie leben, dann werdet ihr wieder von eurer Frau geliebt und sie kommt nicht auf die Idee sich scheiden zu lassen. Das bietet sowas wie eine Erleichterung. Das Problem ist die damit verknüpfte Ausgrenzung, oder vielmehr die Vernichtung: Es geht um eine aggressiv-affektive Vernichtung der als „Andere“ Konstruierten.

Inwiefern ist es wichtig für eine linke bzw. queer-feministische Bewegung über Affekte zu mobilisieren?

BS: Es gibt in den USA eine qualitative Studie zur Act-Up-Bewegung gegen den Umgang mit Aids-Infizierten, welche nachzeichnet, wie es der Bewegung gelungen ist aus dieser Scham- und Angstposition – nämlich infiziert zu sein, von der Regierung völlig vernachlässigt zu sein, null Versorgung zu bekommen, weder in einem akuten Krankheitsfall, noch später dann – daraus Stolz zu formen, neben natürlich auch Wut gegen die Regierung. Der Bewegung ist es gelungen solche Emotionen zu transformieren. Aber das gelingt der Rechten eben auch.

Wir hatten es vorhin von der Frage, wer auf welche Weise zu Lösungsansätzen beiträgt. Auch in der Uni kommt es vor, dass Beiträge in Seminaren als „nicht objektiv“ oder „zu emotional“ bewertet werden. Was muss sich im Kollegium und in der Lehre verändern im Umgang mit Affekten?

BS: Jede lehrende Person an der Uni, egal welches Geschlecht, müsste viel mehr Didaktik und Sensibilität lehren und lernen, zum Beispiel durch Fortbildungen und Schulungen. Es braucht viel mehr Sensibilisierung und Bewusstsein für unterschiedliche Positionen an der Uni. Denn diese führen selbst zu verschiedenen Irritationen, zu Ängsten und Scham, dem Gefühl, nicht zu passen oder was Falsches zu sagen.

…und Studierende?

BS: Für Studierende müsste das heißen, was unter den Bologna-Bedingungen viel schwerer geworden ist, sich zusammenzutun und sich zu organisieren. Ich fand das als Studierende erleichternd und es hat mir viel Stress genommen, weil es auch damals viele weiße, schwätzende Männer gegeben hat. (lacht) Meine Erfahrung ist, dass Kommentare wie: „das ist aber nicht neutral oder objektiv“ oder „jetzt sind deine Gefühle mit dir durchgegangen“, Konter brauchen, um zu verdeutlichen, was das für eine diskriminierende und abschätzige Intervention ist. In Wien gehen einige Studierende beispielsweise zusammen in Seminare, um sich zu unterstützen. Ein solches Unterstützungsnetzwerk ist bereits relational und affektiv. Ich bin überzeugt davon, dass durch solche kleinen Veränderungen etwas bewegt werden kann. Eine plötzliche Revolution ist hingegen eine Illusion.  

 

Sie selbst haben Lehramt Politikwissenschaft und Germanistik in Tübingen und Berlin studiert. Wieso haben Sie sich für diese Fächer und dieses Studium entschieden?

BS: Über diese Frage muss ich immer lachen. Bereits während der Schulzeit war ich politisch aktiv, damals in den 1970er Jahren ging es viel um die Anti-Abtreibungskampagne zu §218. Bald war klar: Politikwissenschaft interessiert mich. Da ich immer gerne las, entschied ich kurzfristig auch Germanistik zu studieren, beides in Tübingen auf Lehramt. Mit meinem Germanistik Studium war ich aber eher unglücklich, denn es ging nicht nur um Literatur, wie ich mir das vorgestellt hatte. Die Studienwahl war also ungeplant und dem geschuldet, dass ich keine gute Beratung hatte. Dann entschied ich, nach Berlin an die Freie Universität (FU) zu wechseln. Dort gab es in der Germanistik auch linke Professor*innen, welche die Entstehung von Literatur mit der Veränderung gesellschaftlichen Verhältnissen zusammendachten.

Wie kann ich mir das Studieren damals vorstellen?

BS: Damals war Studieren noch anders. Ich brauchte ich für beide Fächer nur sehr wenige Scheine, welche ich in den ersten Semestern absolvierte und die restlichen Semester bis zum Examen war ich politisch aktiv. Das Studium war völlig anders organisiert als heute, viel entspannter: Es gab mehr Gruppenarbeit und ich musste mir kein Bein ausreißen.

Wie ging es dann weiter? Und so schlugen Sie die akademische Laufbahn ein?

Nach dem Examen musste ich für die Lehrer*innenausbildung ein Referendariat machen, was in Berlin eher ein Horror war. Nach einem Jahr stellte ich fest: Lehrerin werden, das ist nichts für mich. Ich war total unglücklich und dachte, ich würde das nicht schaffen – einerseits das Disziplinieren und die Notenvergabe, andererseits fand ich keinen Kontakt mit Schüler*innen, der mich zufrieden gestellt hätte. Schließlich brach ich das Referendariat ab und fragte mich: wie geht es jetzt weiter? Von irgendetwas muss ich ja leben. Daher fing ich mit studentischen Hilfsjobs an der Uni an. Der Professor, bei dem ich mein Examen schrieb, bot mir eine Prä-Doc-Stelle im Bereich DDR-Forschung an, was mir zunächst völlig fremd war. Ich stellte aber fest, dass mich das wissenschaftliche Arbeiten reizt und interessiert, auch wenn ich mich dafür nicht gut ausgebildet gefühlt habe. Ich bin beim Promovieren ziemlich geschwommen und wusste nicht richtig wie und was.

Ich stelle es mir sehr schwierig vor als Frau in einem sehr männlich dominierten Umfeld wie der Universität Fuß zu fassen. Wie haben Sie das damals geschafft?

BS: Das war in einer Zeit, wo unter dem damaligen FDP-Minister Gelder investiert wurden explizit für Stellen für Frauen an den Unis. Das hat die FU dann umgelegt in Prä-Doc-Stellen. Plötzlich hatte ich viele gleichaltrige Kolleginnen. Im Prinzip ging es uns allen sehr ähnlich. Deshalb haben wir uns zusammengetan, uns als Dozentinnengruppe organisiert und in Lesekreisen vor allem feministische-politikwissenschaftliche Literatur gelesen und angeeignet. Auch mit dem Ziel, etwas gegen diese männlich-maskulinistische Herrschaft in der Gesellschaft und an der Uni zu tun.

NE: Wie war die politische Situation damals an der Universität in Berlin?

BS: Es gab eine klare Spaltung des Fachbereichs zwischen eher linken Dozenten einerseits, eher liberalen und konservativen andererseits. Was beide ausgezeichnet hat war jedoch ihre Männerbündelei. Kaum einer hatte damals eine wissenschaftliche Mitarbeiterin. Als ich in die Seminare meiner Ikonen gegangen bin, war ich erstaunt, wie sie junge Männer um sich geschart haben. Da hatte man als Frau überhaupt keine Chance dazuzugehören. Mitte der 1980er Jahre haben einige Dozenten ein Buch publiziert zum Thema: was ist eigentlich linke Politikwissenschaft? Und da war keine einzige Frau dabei, geschweige denn feministischer Beiträge.

Wie war Ihre Reaktion auf diesen Konflikt?

BS: Das war Anlass, uns als junge Nachwuchswissenschaftlerinnen zu organisieren. Schon als Studentin setzte ich mich für die Schaffung einer Frauenprofessur ein. Dafür gab es natürlich nie Geld. Es gab aber einige linken Professoren, die diese Idee vorantrieben: Sie verzichteten auf einen Teil ihres Gehalts und schufen damit eine neue zweidrittel Professur, welche mit unterschiedlichen Frauen besetzt wurde – unter anderem Claudia von Werlhof, Carol Hagemann-White und Eva Kreisky. Weiterer Ausgangspunkt war ein Kongress der Deutsche Vereinigung für Politische Wissenschaft (DVPW) Ende der 80er-Jahre. Wir wussten, es wird nicht nur an der FU, sondern auch an anderen Universitäten zu Geschlecht geforscht. Im Rahmen eines Panels entstand die Idee, einen Arbeitskreis (AK) zu Geschlechterforschung zu gründen, um sichtbar zu werden. Beim Panel waren Personen dabei, wie Gudrun Axeli-Knapp, Barbara Holland-Cunz und weitere. Schließlich akzeptierte die DVPW unseren Antrag zur Gründung eines AK.

Das war dennoch ein Erfolgserlebnis, oder?

BS: Für mich war persönlich, wie auch biografisch, toll zu sehen: wenn wir uns zusammentun, können wir etwas bewegen. Ich fühlte mich anfangs in der Gruppe an Promovierenden immer ein bisschen wie ein Alien. Aber die Arbeit an der Uni war spannend. Das bewog mich, als ich fertig mit der Dissertation und erstmal keine Stelle offen war, trotzdem in der Wissenschaft zu bleiben. Irgendwie würde es schon weitergehen. Als wir vom AK Geschlechterforschung eine Publikationsreihe im Campus Verlag gründeten, fing ich an, erste feministische Texte zu schreiben.

Wie spannend. Wie ging es dann nach deiner Dissertation weiter?

BS: Danach ging ich ein Jahr nach Südkorea. Ich war vorher noch nie längere Zeit im Ausland und fand das eine tolle Auszeit. Die Arbeit an der Uni in Seoul war vergleichsweise langweilig. Professorinnen gab es gar nicht, denn auch Südkorea ist ein sehr patriarchales Land. Für mich war es trotzdem bereichernd. Von dort aus habe ich einen Antrag an die FU gestellt, zur Förderung eines Habilitationsprojekts zu Staatstheorie.

Ach so. Ich dachte, du hättest deine Habilitation in Wien abgeschlossen?

BS: Bevor ich nach Südkorea ging, hatte ich Eva Kreisky kennengelernt, die damals die Frauenprofessur an der FU Berlin innehatte. Mit ihr fing ich bereits während der Zeit in Berlin an zu arbeiten. Nachdem sie zurück nach Wien ging, bot sie mir eine Post-Doc-Stelle an, auf die ich mich bewarb. So landete ich in Wien und schrieb meine Habilitation über feministisch-materialistische Staatstheorie. 2003 trat ich dort schließlich eine unbefristete Professur an.

Wir haben bereits über die Schwierigkeiten aufgrund der patriarchalen Strukturen an der Uni gesprochen. Gab es noch weitere Hindernisse?

BS: Das größte Hindernis zu Beginn des Studiums war, dass ich aus einer Familie kam, wo ich die erste war, die studiert hat. Das war eine große Fremdheitserfahrung und ich fand das sehr irritierend. Wenn ich mitbekomme, dass das heute an den Unis immer noch so schwierig ist wie damals in den 1970er Jahren, ist das enttäuschend. Für mich war der Schritt eine Promotion anzufangen auch eine große Verunsicherung, weil kein Halt da war und ich mich fragte: wie geht das eigentlich?

Was hat Sie motiviert dranzubleiben?

BS: Ich fand es super, dass ich in den letzten Wellen der Frauenbewegung an die Uni kam. An der Uni lernte ich, wie sich die Geschlechterfrage mit der Klassenfrage verknüpft, oder umgekehrt: wie sich die Klassenfrage mit der Geschlechterfrage thematisieren und diskutieren lässt. Das fand ich toll.  Damals haben wir uns als Frauen definiert – ich weiß, dass das heute anders ist – und damit auch abgegrenzt von den Männern.

Ja, ich würde von FLINTA* sprechen...

Der entscheidende Punkt ist aber, dass das Zusammenhalten und Netzwerk an Unterstützung waren für mich, und wahrscheinlich auch für die anderen, die einzige Möglichkeit in diesem männlichen Umfeld zu existieren.

Der Kampf gegen Kapitalismus und Patriarchat erscheint oft sehr groß. Gleichzeitig existieren in den Bewegungen selbst viele Unstimmigkeiten und Spannungsverhältnisse. Diese auszutarieren erfordert viel Kraft und Balance. Wie war das damals?

BS: Für uns zentral war das, was heute manche etwas abschätzig Identitätspolitik nennen. Wir haben uns als junge Nachwuchswissenschaftlerinnen definiert in einem männlich-patriarchalen und eher feindlichen Umfeld. Diese Gemeinsamkeit hat viele Unterschiede nicht zu Konflikten führen lassen und hat uns sehr stark zusammengehalten. Auch wenn wir uns über viele Sachen streiten, beispielsweise damals über den Kosovo-Krieg oder heute über den Krieg in der Ukraine. Das, was damals entstand war eine Gemeinsamkeit, die uns dauerhaft und eng miteinander verknüpft hat. Mit einigen Kolleginnen arbeite ich noch heute zusammen und bin mit ihnen befreundet. Aber klar, es gab auch einige aus der Gruppe, die sich wissenschaftlich in andere Richtungen entwickelt haben.

Können Sie den letzten Punkt erläutern?

Die größte Streitlinie war nicht eine marxistisch-materialistische Orientierung, sondern der Versuch diese mit dekonstruktivistischen Ansätzen zu verknüpfen, beispielsweise mit Ansätzen von Judith Butler und Michel Foucault. Manche aus der früheren Geschlechterforschung fanden das ‚zerstörerisch‘ und es gab heftige inhaltliche Auseinandersetzungen. Das ist eine Konfliktlinie, die ich manchmal bis heute sehe, die sich aber weniger an Positionen zu Klasse und ‚race‘ aufgetan hat, sondern an theoretisch-analytischen Positionierungen.

Das hängt wahrscheinlich auch damit zusammen, dass die Uni nach wie vor ein sehr weiß geprägter Raum ist, oder?

BS: Die Frage von ‚race‘ und Postkolonialität wurde erst einige Generationen später in der politikwissenschaftlichen Geschlechterforschung wichtig. Für Frauen haben sich die Universitäten irgendwann geöffnet, aber in der BRD und Österreich sind das nach wie vor wahnsinnig weiße Institutionen. Natürlich haben wir uns früh mit Angela Davis, Audre Lorde und anderen auseinandergesetzt. Das ist definitiv nicht an uns vorbeigegangen.  Die Veränderung hat jedoch lang gedauert. Ich finde es super, dass sich etwas im Bewusstsein verändert und es ist richtig, dass sich Konflikte auftun, auch wenn das manchmal wehtut. Andererseits muss ich mich nicht beschweren als weiße Professorin, die vor 30 Jahren weiße Männer angepisst hat, weil sie Frauen ausschließen. Jetzt muss ich aushalten, wenn mich Schwarze junge Wissenschaftler*innen anpissen und sagen: Du hast dich nie um die Frage von ‚race‘ in deiner Forschung gekümmert. Das finde ich sehr produktiv. Und das muss wehtun, denn sonst ändert sich nichts.

Sie beschreiben die Uni als konfliktiven wie auch transformativen Raum. Wie schätzen Sie das ein?

BS: In Hinblick auf die neoliberale Entwicklung der Universitäten sind wir an einigem auch gescheitert. Es gab viele harte Kämpfe um Anerkennung. Viele aus meiner Generation sind nur Professorinnen geworden, weil sich die Unis geöffnet haben - zum Glück. Aber die Öffnung der Universitäten für Frauen war dennoch auch ein neoliberaler Move. Zudem ist das Umfeld an Universität und Wissenschaft wahnsinnig kompetitiv. Die Wettbewerbsorientierung ist an uns nicht vorbeigegangen. Das macht etwas mit Menschen.

Wie haben sich die Hürden in Hinblick auf Geschlecht im Kontext dieser neoliberalen Entwicklung verändert?

BS: Ich würde sagen, es hat sich durch die neoliberale Transformation der Gesellschaft, wie die Anrufung der Frauen als Erwerbstätige, einiges geöffnet. Funktionieren konnte das nur durch Gleichstellungsmaßnahmen in der Erwerbsarbeit, die jedoch klar klassenbezogen waren: Für gut ausgebildete Frauen gibt es Gleichstellung, für schlecht ausgebildete gibt es wenig bis keine Gleichstellung. Fördermaßnahmen, wie Frauenquoten in Aufsichtsräten oder Parteien, sind Ergebnis einer neoliberalen Veränderung eines Akkumulationsregimes. Mehr (gut ausgebildete) Frauen in Arbeit, deshalb mehr Frauenförderung, deshalb mehr Anti-Gewalt-Gesetzgebungen.

Das heißt, es besteht ein Zusammenhang zwischen der Öffnung der Erwerbsarbeit für FLINTA* im Zuge der Neoliberalisierung und der Debatte um geschlechterbasierte Gewalt?

BS: Es hört sich zynisch an, aber es war klar, wenn Frauen zuhause Gewalt erfahren, können sie nicht gleichzeitig erwerbstätig sein. Klar ist, es hat immer Kämpfe der Frauenbewegung gegeben für eine Veränderung der Erwerbsarbeit, gegen die Hausfrauen-Ehe, gegen Gewalt gegen Frauen. Aber funktioniert hat es mit der neoliberalen Veränderung, die kapitalistische und patriarchalen Strukturen beeinflussten. Das betrifft auch die Unis, wo der Anteil an Professorinnen auf jeden Fall höher ist als damals, als ich anfing zu studieren. Da hat sich schon etwas getan. Eine Kollegin hat kürzlich auf einer Podiumsdiskussion der DVPW darauf hingewiesen, dass die Neoliberalisierung der Universitäten auch eine Form der „Objektivierung“ gebracht hat. Die Quantifizierung wissenschaftlicher Tätigkeiten war eine Möglichkeit männliche Seilschaften zu durchbrechen. Trotzdem: es sind immer noch größtenteils weiße Frauen an den Unis. Es war also immer eine strategische Öffnung und Veränderung, durch die anders positionierte Personen ausgeschlossen wurden.

Das heißt, insgesamt sehen Sie die Neoliberalisierung von Universitäten und Wissenschaft eher negativ?

BS: Ja, insgesamt finde ich diese neoliberale Entwicklung falsch. Es muss andere Lösungen geben, wie Frauen, People of Color, Trans-Personen gefördert werden können, als wissenschaftliche Arbeit zu quantifizieren. Es ist einer Zerstörung von Wissenschaft, wenn Texte nicht mehr gelesen werden und ihre Qualität daran gemessen wird, wie oft sie zitiert werden. Was soll das? Das ist für mich kein Kriterium für gute Wissenschaft. Wissenschaft kann nur in der Debatte entstehen, und das kann man nicht messen, auch nicht an den für Forschungsprojekte eingeworbenen Geldern. Alle Untersuchungen, die es gibt, zeigen, dass Frauen es in diesem System immer noch schwer haben: Sie haben in der Regel weniger publizierte Artikel und verfügbare Drittmittel als Männer, weil Frauen eher aus Netzwerken und Zitierkartellen rausfallen. Das ist keine Demokratisierung von Universitäten. Irgendwann implodiert dieser Quatsch, weil die Absurdität zum Ausdruck kommt, was da für Wissenschaft gehandelt wird.

Weil ich diesen Aspekt gerade spannend finde: Bedient man das System, wenn man an der Uni bleibt? Oder ist es so, ähnlich wie Sie es skizziert habent, dass man in diese Strukturen rein muss, um sie verändern zu können?

BS: Das ist wirklich die Gretchen-Frage. Ich glaube nicht an den Gang durch die Institutionen, dass man diese dadurch fundamental verändern oder revolutionieren kann. Dazu gibt es viel zu viele Verharrungskräfte. Es gibt immer wieder Umdeutungen in den Institutionen in eine mehr herrschaftliche oder patriarchale Richtung. Universitäten können sich ‚modernisieren‘, wenn sie einen Master Geschlechterforschung einrichten. Den lassen sie dann allmählich austrocknen und alle, die versuchen, dagegen zu halten, reiben sich wund. Sie gehen daran kaputt. Viele stellen sich nach der Dissertation die Frage: und jetzt? Soll ich weitermachen, lohnt sich das? Nicht nur individuell, sondern ist die Universität und das akademische Feld ein Bereich, wo ich glücklich werden und ein gutes Leben führen, aber auch meinem politischen Anspruch gerecht werden kann? Insofern ist das eine ambivalente und widersprüchliche Angelegenheit.

Da stellt sich die Frage, wieso es überhaupt versuchen und an der Uni bleiben?

BS: Das Gute an der Uni ist, junge Leute auszubilden und ihnen etwas auf den Weg zu geben, wie: Ihr müsst nicht alles schlucken – weder an der Uni noch im Leben. Ihr könnt etwas verändern! Es ist unglaublich wichtig, dass es linke, feministische, queere Forschung gibt, damit sich etwas in der Welt verändert. Deshalb finde ich es wichtig, dass kritische Wissenschaft an der Uni versucht zu überleben. Aber es ist eine Illusion, die Uni von innen heraus zu untergraben oder zu verändern, das wird nicht funktionieren. Da braucht es viel mehr Kräfte, auch von außen.

Ich habe das Gefühl, sobald eine Person versucht den Status quo anzufechten und gegen verhärtete Strukturen zu kämpfen, wird verlangt, argumentativ, wie auch affektiv, ohne Fehler zu sein. Der Maßstab an diejenigen, die Kritik üben, ist sehr hoch, auch in linken, sich als kritisch verstehenden Kreisen.Wie ist Ihre Erfahrung?

BS: Ja, ich sehe das genauso. Das war auch meine Erfahrung. Die Person, die Kritik anbringt, wird die Bürde aufgelegt, die Lösung mitzubringen. Von einigen Männern hörteimmer wieder die Reaktion: Ja, mach doch!

Wie schätzt du diese Reaktionen der sich als ‚kritisch‘ und ‚marxistisch‘verstehenden Männer ein?

BS: Das ist natürlich eine Abwehrstrategie. Das habe ich in meinem Leben gelernt. Wir als Feminist*innen müssen sagen: Das akzeptieren wir so nicht! Es geht nicht darum, linke Männer zu bashen, das wäre Blödsinn. Andererseits sehe ich schon auch in linken Zusammenhängen, dass ich oft noch das „Token“ bin. Es gibt wenig weiße Männer, denen ein intersektionaler Ansatz ein Anliegen ist. Wobei ich Veränderungen und Verbesserungen sehe. Das sogenannte „woke bashing“ führt dazu, dass mehr Kooperation und Zusammenhang gefordert wird. Ich sehe auch, dass Intersektionalität nicht mehr auf den Widerstand stößt, auf den es noch vor ein paar Jahren gestoßen ist. Trotzdem gibt es noch wenig Wissen und viel Ängste.

Es erscheint so als würden sich queer-feministische Bewegungen schneller bewegen im Vergleich zum männlich-weißen Kanon. Wie kann das sein?

BS: Das hängt klar mit der Dynamik des wissenschaftlichen Feldes zusammen. Dabei spielt die Finanzierung eine große Rolle. In den Sozialwissenschaften gibt es schon seit vielen Jahren die Auseinandersetzung zwischen den qualitativen und den quantitativen orientierten Wissenschaftler*innen. Das hat sich verhärtet im Prozess der Neoliberalisierung. Alle, die quantitativ arbeiten, waren viel schneller in der Lage Gelder zu bekommen. Ich meine, da geht es weniger darum, komplexe Zusammenhänge in der Gesellschaft kritisch zu hinterfragen. Zudem besteht immer noch die Annahme, dass die Positionierung der Forschenden nichts mit der Wissenschaft zu tun hätte. Die haben auch die Messbarkeit, die Quantifizierung wissenschaftlicher Leistung vorangetrieben. Das ist in der Regel eine weiße, männliche Selbstrekrutierung, denn sie können die gesellschaftliche Positionierung von Wissenschaft nicht sehen. Die mussten sich nicht bewegen – konnten sie auch nicht, denn sie wurden zugeschüttet mit Geldern und Anerkennung. Das ist anders mit wissenschaftlichen Bewegungen „from the margin“ und queer-feministischer Forschung. Da musst du mehr um Sichtbarkeit und Anerkennung kämpfen. Aber diese Kämpfe bewegen und bringen voran. Aus dieser Dynamik heraus ist das zu erklären.

Das ist sehr spannend. Schade, dass wir allmählich zum Ende kommen müssen. Ich würde noch gerne wissen, was Ihre Motivation war, die Gastprofessur anzutreten.

BS: Wie ich mitbekommen habe, wie der Kampf um die Gastprofessur losgegangen war, dachte ich: wie toll, dass sich Studierende dafür einsetzen. Weil die Uni absurde Voraussetzungen für den Antritt der Professur hatte, war es aber schwierig jemanden zu finden. Das war für mich die Motivation zuzusagen. Und auch inhaltlich fand ich die Überlegung toll, kritische Seminare anzubieten. Inhaltlich wird es grob um die Autoritäre Rechte und Geschlecht, um feministisch-materialistische Staatstheorien sowie um die Rolle von Care, Sorge und Affekt aus radikaldemokratischer Perspektive gehen.

Die Seminare klingen super interessant. In der Broschüre sind ausführliche Seminarbeschreibungen. Dort können Studierende, die hier angeschnitten Themen noch vertiefen. Eine letzte persönliche Abschlussfrage: Was wünschen Sie sich für die Zeit in Frankfurt und worauf freuen Sie sich am meisten?

Ich bin gespannt auf die drei Seminare, da ich mich viel mit diesen Themen beschäftige. Ich hoffe, dass die Studierenden bereit sein werden, meine eigenen Texte kritisch zu lesen und zu diskutieren. Ich freue mich auf Feedback und Kritik. Das ist das, was ich vermisse, seit ich nicht mehr an der Uni bin: ich diskutiere immer noch viel, aber nicht mehr so oft mit Studierenden. Das ist eine andere Generation, eine andere Lebenserfahrung, eine andere Perspektive. Natürlich ist das auch ein bisschen Angst einflößend, wie ich vorhin gesagt habe. Weil eine kritische junge Generation muss, wenn sie wirklich kritisch sein will, auch kritisieren. Das ist nicht immer einfach auszuhalten. Trotzdem oder gerade deshalb freue ich mich auf kritische, neue Perspektiven.

Vielen Dank für Ihre Zeit und die vielen Einblicke!

Das Interview führte Nele Eisbrenner.