Vor dem Skyline Plaza

Es sieht aus wie eine Wüste und man kann sich nicht vorstellen, dass hier irgendjemand lebt

Alle Leute wirken wie Aliens. Einfach weil es nicht so wirkt als wäre es für Menschen gebaut.

Hier ist das Gebiet des ehemaligen Güterbahnhofs – der war dort hinten links. In der Mitte der 80er gab es tausend verschiedene Pläne, was man hier mal hinmachen könnte. Erst gab es ganz viele Investoren, die hochklassiges Wohnen bauen wollten – die sind dann alle pleite gegangen. Dann ist jahrelang nicht passiert. Dann sollte dieses – wo wir auch den Artikel zu haben – dieses Urban Entertainment Center gebaut werden – das hat dann auch nicht geklappt. Und irgendwann haben sie leider irgendwie doch Geld zusammen gekriegt, dieses extrem komische Gebäude hier gebaut und dahinter dieses tote Viertel – was an dieses tote Hamburger Stadtviertel, das die neu gebaut haben, erinnert.

Die Hafen City.

Genau Auch von der Vitalität die es ausstrahlt.

Früher war hier im Gallus und im Gutleut auch viel Industrie, es haben viele Menschen auch im Stadtteil gearbeitet. Das war ein bisschen der innerstädtische, industriell geprägte Bereich Frankfurts und das hier war der zugehörige Verladeplatz. Dadurch dass das größtenteils zugemacht und sich die Stadtteilstruktur verschoben hat, wurde der Güterbahnhof ein bisschen überflüssig. Daher wurde entschieden, den zu schließen und dadurch auch Fläche freizumachen, weil es ja nun mal Platzknappheit in Frankfurt gibt. Dann hat man es aber trotzdem lange nicht geschafft, was damit zu machen.

Und ich hab immer wieder gehört – das kommt auch ein bisschen in dem Artikel von Wiegand und Schipper vor – die Wohnungen sind wohl fast alle verkauft, aber viele der Wohnungen fungieren hauptsächlich als Anlagemöglichkeiten. Die Mietwohnungen sind im Gegensatz dazu aber kaum gefragt. Zudem sind die meistens so geschnitten, dass nur Singles darin wohnen können – ansonsten sind sie gar nicht soo teuer. Die Zielpersonen sind aber nicht WG’s oder Familien, sondern arbeitende alleinstehende Personen.

Ich finde wenn man in das Europa-Viertel reinkommt, wirkt es so als wäre man in einer anderen Stadt. Vor allem, wenn man vorher im Gallus war und dann hier so reinläuft, das finde ich total verrückt.

Ja das ist krass. Dieser Kontrast zwischen Gallus und Europaviertel.

Ja und es ist auch total abgeschottet. Es gibt ja auch nur sehr wenige Verbindungsstraßen zwischen Gallus und Europaviertel. Es soll sich nicht vermischen.

Ja, wie eine Burg.

Ja, wie kommt man da eigentlich weg? Man braucht schon ein Auto, oder?

Es wird zumindest gerade eine neue U-Bahn gebaut.

Ich finde auch die Parallele zu dieser Hafen-City ganz passend. Da hast du auch denselben Effekt, dass da so ein Retorten-Stadtteil entstanden ist, der total abgeschottet ist. Es gibt kaum Verkehrsanbindung. Und da gab‘s dann so absurde Effekte wie: Die Supermärkte, die da angesiedelt sind, haben wieder geschlossen, weil die Mieten zu hoch waren für so `nen Aldi und die dann gesagt haben: Nee geht halt nicht. Und jetzt ziehen die Leute auch da wieder weg.

Und dann gab es Gegenmaßnahmen um dieses Viertel zu beleben.

Ein Freund von mir, der ist Schauspieler in Frankfurt, der wurde gemietet als Komparse bei einem Stadtteilfest – da haben die sich HUNDERT Leute angemietet, die den Tag über da verbracht und so Hacky Sack gespielt haben – die Veranstalter hatten sich sogar Surfer gekauft, die vor der Elbphilharmonie immer so lang surften. Also das war wirklich ganz absurd! Und da gab es auch ein Entertainment-Programm, unter anderem einen Clown und der meinte: »Ihr seid wirklich das beste Publikum, dass ich je hatte.« Und die anderen meinten nur so: »Jo, wir sind halt gekauft. Sorry!« Schrecklich! Aber genau, solche Absurditäten gibt’s dann.

Vielleicht ist jetzt der richtige Moment um ins Skyline Plaza reinzugehen!

 

Auf dem Skyline Plaza

Das Europaviertel ist ja nebenbei eine ziemlich großflächige Privatisierung von öffentlichem Raum. Der Güterbahnhof hat ja auch mal der Bahn als Bundesunternehmen gehört. Zur Beruhigung der Volksseele – nicht, dass die sich aufregt – gibt es hier oben dieses Dach, was so tut, als sei es ein Park. Es ist ja bei den meisten Frankfurter Großprojekten auch ein Bonmot für den/die geneigte/n Bürger_in dabei. Wie bei dem EZB-Neubau, da gibt es den Park und die Sportplätze; bei dem DFB-Zentrum soll ja auch ein kleiner Bürgerpark entstehen; hier gibt es dieses Dach-Ding. Damit der Bürger denkt, »Wir haben zwar in der Stadt Frankfurt ein ganzes Viertel, wo niemand hingehen will und es total seltsam ist, und auch niemand wohnt, aber auf dem Dach des Einkaufszentrums gibt es Wiese.«

Der Park auf einer komischen Meta-Ebene obendrüber.

Und, wie heißt es in einem unserer Artikel, man kann sich den Phallussymbol des Kapitals nahe fühlen. Man ist in den Wolken dabei.

Aber man wird sie nie erreichen.

So nah und doch so fern!

Wenn das jetzt hier einfach nur ein Park auf dem Parkplatz wäre, wäre es gar nicht mehr so krass. Dadurch, dass es so ein Ort an einem Nicht- Ort ist – es ist ja irgendwie null eingebunden, hat gar keinen Bezug auf irgendwas.

Es ist außerhalb der Stadt, irgendwie.

Aber ich find es auch sehr beeindruckend.

Es hat aber schon irgendwas Seltsames!

Aber dadurch sticht auch diese Unbewohnbarkeit der Umgebung so hervor. Man muss halt irgendwie eine Enklave schaffen.

Alles was man sieht sind auch wirklich Orte, wo man sich nicht aufhalten will: Dieses Mövenpick-Hotel sieht seltsam aus.

Überhaupt, was ist denn das jetzt hier?

Solarfelder?

Nee, das ist einfach ein buntes Dach!

Nee, man sieht auf den Parkplatz hier. Und dahinter den Feldberg sieht man auch. Da ist die Messe-Halle.

Hier sind Leute mit ihren Hunden. Die wohnen bestimmt im Europa-Viertel und das ist der einzige Ort, wo sie mit ihren Hunden hingehen können. Oh, da sind noch mehr Leute mit ihren Hunden!

Krass, hier sind Kicker, da kann man umsonst spielen.

Leute! Ich fordere Euch heraus! Halt! Ich muss hinten spielen.

Ok, aber ich bin richtig schlecht in Kicker.

Ich bin richtig gut. Ich hab eine solide Grundausbildung erhalten.

 

Nach dem Kickern

Ich finde wir sollten uns hier wirklich mal zum Trinken treffen!

Oh, das krasse Bahngebäude.

Was als Urbanität beschrieben wird, beinhaltet ja auch, dass es Raum zum Treffen gibt, dass es Kommunikation, Raum zum Austausch gibt. Und das was man hier sieht, ist erstens alles irgendwie gleichförmig – man hat nicht das Gefühl, dass es hier irgendwie Raum für Differenz gibt – und dann hat man schon mal gar nicht das Gefühl, dass es Momente des Aufeinanderprallens gibt, sondern es wirkt alles wie isolierte Einzelheiten, die keine Momente der Kommunikation, Brechungen oder sonstige Irritationen erlauben.

Das erinnert mich an einen Text, da ging es um Gay Cruising und Stadtentwicklung in den Staaten, wo immer mehr öffentliche Orten polizeilich überwacht wurden und es dann kaum noch Möglichkeiten gab, sich zu treffen. Die Klappen sind in Frankfurt irgendwie auch verschwunden und in diesem Text, von Tim Diehm, der auch nicht super cool ist, wird das als demokratische Möglichkeiten der Couple-Bildung oder des Austauschs beschrieben, weil sich halt nicht nur die weiße Mittelschicht in ihren Szene-Bars trifft, und das auch nichts kostet und er das als wahre Begegnung gelabelt hat, die potentiell sicher ist, weil man in so einer anonymen Stadt trotzdem ein bisschen geschützt ist.

Man hat hier aber schon das Gefühl, dass hier durch die Architektur ein Verweilen nicht angelegt ist. Und es gibt nichts, was an soziale Probleme erinnert. Was einem im Bahnhofsviertel quasi ins Gesicht schlägt, ist hier unsichtbar.

Und auch was du meintest mit Aneignung, der erste Impuls ist ja auch: das Dach aka der Park ist so ein schöner Ort, lass und den mal aneignen. Aber in gewisser Weise kann man den nicht aneignen. Der ist schon durchkonstruiert, der ist fertig erschaffen. Tatsächlich kann man ihn nur noch zerstören, denn das Konzept ist klar vorgegeben; jede Pflanze, jeder Weg hat seinen Platz. Und zur Not machen sie halt den Scheiß Nachteingang zu und dann ist der Ort auch einfach weg. Er ist auch voll kontrollierbar.

Aber diese großräumige Planung ist auch allgemein das, was dieses Viertel von anderen unterscheidet; dass hier jeder Straßenzug durchgeplant ist. Und jede Individualität und Geschichte fehlt.

Ich mein, dass soziale Durchmischung und Orte des Treffens nicht angelegt ist, das merkt man auch, wenn man sich hier durchbewegt. Man kann sowas ja auch anders bauen und planen, zum Beispiel Begegnungsorte miteinplanen, wie bei den großen sozialdemokratisch geprägten Wohnprojekten der 70er.

Vielleicht ist es aber auch einfach ein ehrliches Viertel. Und Orte, die so gefeiert werden als Begegnung, wie zum Beispiels das Bahnhofsviertel, sind auch segregiert. Und die Leute, die sich begegnen, haben nur eine bestimmte Art von Interaktion und gehen dann auch wieder nach Hause. Oder wohnen in der Münchner Straße in der fancy, schicken Altbauwohnung und so richtig mit den Leuten was zu tun, hat man dann auch nicht.

Aber trotzdem, so als Lebensraum, es ist derselbe Effekt im Europaviertel wie in dieser Hafencity, again, es ist alles zwar schön, man kann es irgendwie abfeiern architektonisch, aber trotzdem sind es irgendwie fertige Lebensräume und wenn dann so ein Effekt entsteht wie: Da lehnt ein Fahrrad an der Hauswand, da liegt eine Mülltüte und Kinder spielen – das hat immer einen Effekt wie: Das stört! Das macht das fertige Konzept eigentlich schon wieder kaputt.

Und damit ist es auch wirklich so eine Art Nicht-Ort. Kennt ihr dieses Buch von diesem Auge-Menschen? Es ist irgendwie auch eine platte Analyse, aber irgendwie auch spannend.

Da ist ein Mensch, da am Fenster!

Wenn man nochmal überlegt, was ist der Unterschied von einem sozialdemokratischen Projekt und einem so durchgeplanten Projekt wie hier ist – der offensichtlichste Unterschied, das sind doch zuerst die Adressaten, die Leute für die so etwas gemacht wird – Mittelstand bis reich – und daher ist das doch im Gegensatz zu sozialdemokratischen Projekten hier viel mehr ins Private verlagert. Die Wohnungen sind wahrscheinlich relativ großräumig, die Freizeit kann sich vielmehr in Privaträumen abspielen und alle Freizeitbedürfnisse, die nicht in der eigenen Wohnung befriedigt werden können, können an kommerziell orientierten Orten befriedigt werden – zum Beispiel hier im Skyline Plaza in der Therme – es gibt dadurch nicht so einen klaren Ort der Öffentlichkeit, der bei der Planung noch so einen provisorischen Charakter hat und auch von den Leuten provisorisch gestaltet wird; auch aus einer gewissen Not heraus provisorisch, weil sich die Leute, die da wohnen einfach keine großräumigen Wohnungen leisten können und tagsüber die Kinder einfach aus der Wohnung rausschicken und die auch nicht irgendwo bezahlt abgeben können – die Freizeit-Orte, die es hier im Europaviertel jenseits dieses Privaten gibt, die sind ja wahrscheinlich alle kommerziell und dadurch viel stärker kommerziell.

Dieses Private ist auch total spannend, weil es hier auch sehr viele Eigentumswohnungen gibt. Hier treffen sich hauptsächlich Wohnungseigentümer_innen im Viertel, wenn sich jemand trifft.

Was ich noch spannend finde: Wenn man dahin guckt, dann tut sich so die Industrielandschaft wie eine Art Kulisse auf. Man kann irgendwie in alle Richtungen gucken und sieht das städtische Leben, aber tatsächlich als eine Art Kulisse. Es ist hier ein abgeschottetes Gebiet, von dem man dann so guckt wie: »Oh guck mal da ein Kraftwerk. Das gehört wohl auch zur städtischen Welt. « Das unterstützt für mich diesen Eindruck, hier ist eine künstliche Blase, von der man dann so in die Stadt schaut.

Krass ist auch dieses Bahngebäude.

Das Verrückteste an dem Gebäude ist, dass es einfach Anfang der 90er gebaut wurde und es wirkt wie aus einer anderen Zeit.

Es wirkt wie im zweiten Weltkrieg als U-Boot-Träger.

Ich glaube auch bis heute noch, dass es irgendwann einfach abhebt und wegfliegt.

Es wirkt wie eine Zukunftsutopie aus der Vergangenheit.

Die Bahn ist doch jetzt auch umgezogen. In ein neues, schickes Hochhaus.

 

diskus unterwegs, 2015