Das diskus-Heft der Gruppe Antifa Kritik und Klassenkampf (AKK) von Dezember 2016 enthält einige Kommentare zum Strategiepapier Der kommende Aufprall (2015), in dem die Genossinnen und Genossen von der AKK sich darum bemühen, angesichts der allgegenwärtigen Ohnmachtder Linkeneine Perspektive in Richtung politischer Organisierung zu entwickeln. Zwar wurde das Papier in besagter diskus-Ausgabe beileibe nicht kritiklos abgefeiert – eher im Gegenteil –, ein ganz grundsätzlicher Punkt jedoch wird in keiner der Kritiken erwähnt. Im Folgenden werde ich zu zeigen versuchen, dass der »Strategievorschlag«, den die AKK in ihrem Papier macht, gegenüber ihrer eigenen Analyse der gesellschaftlichen Verhältnisse, die dem Strategieteil vorangeht, äußerlich bleibt.

Zu Beginn des Papiers formuliert dieAKK nämlich:

Der Prozess der Konstituierung potenzieller Träger*innen sozialrevolutionärer Veränderungen bedarf [...] einer bestimmten Form der politischen Auseinandersetzung, welche momentan nicht gegeben ist. (ebd.)

– und konstatiert damit, dass derzeit kein Subjekt revolutionärer Veränderung existiert. Wenn sie im Strategieteil ihres Papiers vorschlägt, die Vernetzung zwischen linken Gruppen und Kämpfen von Lohnabhängigen zu verbessern, das heißt »dort hinzugehen, wo die Lohnabhängigen Probleme kriegen und sich gegen diese auflehnen, und sie nach Möglichkeit und Absprache zu unterstützen« (ebd.: 19), dann kann das meines Erachtens deswegen nicht funktionieren, weil »die Lohnabhängigen« gar nicht die Gesprächsbereitschaft mitbringen, die es dafür bräuchte. Die gemeinsame Tätigkeit fürs sozialrevolutionäre Projekt, die man den Arbeiterinnen nahelegen müsste, setzt zumindest eine Offenheit für ein solches Gespräch voraus. Indem die AKK unterstellt, dass es derzeit überhaupt einen Ansprechpartner für ihr Projekt gäbe, den man nur noch bei der Vernetzung unterstützen müsste, scheitert sie daran, die Konsequenzen aus ihrer im Eingangszitat zusammengefassten Diagnose zu ziehen, denn diesen Ansprechpartner gibt es nicht. Weil es heute nicht einmal im Keim mehr so etwas wie eine organisierte Arbeiterklasse gibt, von einer kommunistischen Bewegung ganz zu schweigen, ist es nicht nur anachronistisch, sondern geradezu lächerlich geworden, vom Kommunismus zu reden. Ja, es gibt ein paar versprengte Kommunistinnen und Kommunisten, aber die sind zur Träumerei verdammt, zum Konjunktiv, zur Einsicht, dass der Kommunismus zwar möglich wäre, es aber de facto heute nicht ist. Wohl selbst die aufgeschlossenste Gesprächspartnerin würde noch entgegnen: »Ja okay, das ist halt deine Meinung, aber das ist doch Träumerei.« Oder: »Die Idee ist gut, aber der Mensch ist nicht dafür gemacht.« Und diese Ohnmacht, in der kommunistische Kritik und Politik so albern wirken, dass sie nicht einmal ernsthaft, auf Augenhöhe, diskutiert werden können, müsste man, so meine ich, zunächst zur Kenntnis nehmen, sie in die Diagnose der gesellschaftlichen Verhältnisse mit aufnehmen. Aber der Reihe nach:

Das Strategiepapier der AKK beginnt mit einer Bestandsaufnahme der aktuellen Krise, die die Genossinnen als »Ausdruck der grundlegenden Krisenhaftigkeit der kapitalistischen Produktionsweise« (AKK 2015: 3) verstehen. Angesichts der »sich verschärfenden Angriffe auf die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Menschen« (ebd.: 7) sei eine handlungsfähige Linke notwendig. Eine soziale Krisenlösung sei nicht innerhalb der bestehenden Verhältnisse, sondern nur durch eine »sozialrevolutionäre Umwälzung« (ebd.: 4) möglich, welche wiederum einen Träger erfordere, ein Subjekt, das sich jedoch überhaupt erst konstituieren müsse. Dazu wäre der AKK zufolge ein »bewusste[r] Totalitätsbezug« (ebd.: 7) nötig, das heißt, dass jene Akteure, die für punktuelle Verbesserungen eintreten, etwa Gewerkschafterinnen, den »Widerspruch zwischen den eigenen Interessen und Bedürfnissen und denen des Kapitals« (ebd.) nicht nur in sozialen Kämpfen austragen, sondern bewusst artikulieren und auf die gesellschaftliche Totalität des Kapitalverhältnisses beziehen müssten. In dieser politischen Auseinandersetzung würde das entstehen, was die AKK Klassenbewusstsein nennt, das Bewusstsein nämlich, dass die Widersprüche innerhalb der bestehenden Verhältnisse vielleicht etwas geglättet werden können – vielleicht erbarmt sich eine Arbeitgeberin, ein paar Promille mehr Lohn zu zahlen! –, aber eben nicht gelöst.

Damit ist das Problem im Kern als ein Bewusstseinsproblem identifiziert, anders gesagt: Dass besagte sozialrevolutionäre Umwälzung ausbleibt, ist darauf zurückzuführen, dass die Gesellschaft (das heißt: die erkennenden Individuen in ihr) sich selbst nicht erkennt. Es handelt sich also – so möchte man aus der Diagnose bis hierhin schließen – nicht um ein Problem mangelnder Vernetzung (oder dergleichen), dem ›nur‹ mit Strategievorschlägen im engeren Sinne oder mit einem Organisierungsangebot beizukommen wäre. Dieser Diagnose widersprechen die Genossinnen von der AKK an anderer Stelle im Text jedoch sehr drastisch. Mit dem »Sprung [sic!] in die Praxis«, den sie vorschlagen (ebd.: 16), möchten sie nicht etwa den Menschen (inklusive ihrer selbst) zum Bewusstsein über die Verhältnisse verhelfen, sondern die »Trennung zwischen den politischen Gruppen […] und den für konkrete Verbesserungen Kämpfenden« (ebd.: 19) aufheben. Wenn eine Handvoll radikaler Linker sich einfach mal mit ein paar Gewerkschafterinnen an einen Tisch setzen würde – so scheint die Hoffnung zu lauten – dann würde sich der Rest schon ergeben. Wo man zuerst noch wohlwollend unterstellen möchte, dass es in einer solchen Koordinierung doch letztlich um nichts anderes gehen könne als um Verständigung, um eine Auseinandersetzung mit der Gesellschaft, kurz: um Kritik – da wird ein solches Wohlwollen sogleich der Naivität überführt. Denn es läuft dann doch alles auf ein Problem der Vernetzung hinaus, das Bewusstseinsproblem wird vollends auf einen Mangel an Vernetzung reduziert:

Damit Solidarisierungsprozesse nicht einfach wieder verpuffen, bedarf es einer Verfestigung der entstehenden Kommunikations- und Koordinationsstrukturen in einer Organisierung, die vor allem als Informations- und Kommunikationsstruktur fungiert (ebd.: 19).

Wenn aber die Konstitution des Subjekts jener revolutionären Veränderung, von der eingangs die Rede war, »einer bestimmten Form der politischen Auseinandersetzung [bedarf], welche momentan nicht gegeben ist« (ebd.: 7), dann stellt sich die Frage, welche »Kommunikations- und Koordinationsstrukturen« das sind, die da verfestigt werden sollen. Dass die AKK von einem »Sprung« in die Praxis spricht, passt wie die sprichwörtliche Faust aufs Auge, weil es innerhalb des Analyseteils eben gerade nichts gibt, das zur Praxis drängen würde. Der Widerspruch besteht darin, dass zunächst gerade das Fehlen eines Subjekts der revolutionären Praxis festgestellt wird, während später diese Praxis dann trotzdem als möglich behauptet wird. Vermittelt (beziehungsweise eben gerade nicht vermittelt) werden die beiden Seiten dieses Widerspruchs durch einen Sprung.

Klar: Die Alternative zu einem solchen Sprung würde schlicht Resignation bedeuten, und das ist beim besten Willen keine Alternative, der ich das Wort reden möchte. Der Fehler der AKK liegt daher, so lässt sich nun präzisieren, nicht in der Parteinahme für den Sprung (das heißt gegen die Resignation), sondern darin, dass sie den Sprung zwar als solchen erkennen (und benennen), aber die Tatsache, dass es sich momentan eben um einen Sprung handeln muss – einen Sprung von der immanenten in transzendente Kritik –, nicht ihrerseits als Moment in die Kritik der Verhältnisse aufnehmen. Dadurch wird die Einsicht in die Verstelltheit der Praxis, die der Ausgangspunkt jeder Praxis im Jetzt sein müsste, letztlich wieder kassiert. Wo es zunächst aussieht, als würde der Widerspruch benannt und durchgehalten – die Praxis ist unmöglich und kann doch möglich werden –, da wird im Augenblick des Sprungs schlicht eine Seite des Widerspruchs (die Unmöglichkeit nämlich) durchgestrichen. Leider scheut die AKKdamit vor der naheliegenden Konsequenz eben doch zurück, die da wäre: Bis auf weiteres sind wir ohnmächtig. Yes, we’re fucking screwed. (Was übrigens nicht heißt, dass das so bleiben muss oder gar soll, im Gegenteil.)

Damit allerdings erscheint auch die Ausgangsdiagnose, auf der die AKK ihren Strategievorschlag aufbaut, in einem anderen Licht. Es zeugt nicht von politischer Urteilskraft, sondern geradezu von Fahrlässigkeit, wenn jemand in einer gesellschaftlichen Konstellation, in der die kommunistische Linke marginalisiert ist und sich allerorten materielles und geistiges Elend breitmacht, davon ausgeht, dass eine Erhebung der Massen automatisch zu einer Verbesserung der Verhältnisse führen würde – und nicht etwa auf direktem Weg in Konterrevolution und Barbarei. Nun ist der Übergang in die befreite Gesellschaft grundsätzlich keine einfache Sache, und das wäre er auch nicht, wenn die Ausgangssituation heute günstiger wäre. Deswegen lohnt es sich auch, sozusagen als Flaschenpost an spätere Generationen von Kommunistinnen, Überlegungen darüber anzustellen, wie der Übergang zu bewerkstelligen wäre – Überlegungen zur revolutionären und unmittelbar postrevolutionären Situation und dazu, wie die Solidarität, die in ihr aufscheint, sich in die befreite Gesellschaft retten ließe, wie sie sich radikalisieren und zugleich auf Dauer stellen ließe. Einen solchen Text jedoch als immanente Kritik auszugeben – mit der man in Marx’scher Tradition versucht, »die Elemente der neuen Gesellschaft in Freiheit zu setzen, die sich bereits im Schoß der zusammenbrechenden Bourgeoisiegesellschaft entwickelt haben« (MEW 17: 343) – funktioniert nur, indem man die Ohnmachtsdiagnose, mit der man gestartet ist, auf ein Lippenbekenntnis reduziert, denn solche »Elemente der neuen Gesellschaft«, wo sollen sie sein?

Wenn die Ohnmacht nahezu total ist, dann gibt es für die ›Linke‹ (unterstellen wir einmal, dass es sie noch gibt) allerdings wenig andere Optionen als die, die die AKK vorschlägt. Diese zwei anderen Optionen lauten, in aller Kürze, folgendermaßen: 1) Rückzug in den berühmten Elfenbeinturm: Kritik üben, 100-prozentiger Wahrheitsanspruch, keine Praxis, keine Kompromisse; 2) ›Einfrieren‹ der revolutionären Idee: weiter Theoriearbeit und Kritik leisten, aber in der Praxis durchaus Kompromisse machen, weil es zunächst Abwehrkämpfe zu kämpfen gibt; zunächst (etwa zusammen mit Sozialdemokraten, Liberalen, Konservativen usw., die Liste ließe sich fortsetzen...) das Bestehende gegen Schlimmeres verteidigen, weil man weiß, dass für die einzig wahre, revolutionäre Praxis die Zeit gerade nicht reif ist – in der Hoffnung, vielleicht in einem undefinierten Später die Kritik ›auftauen‹ und zur revolutionären Praxis zurückkehren zu können.

Nun – wenn die anderen Optionen so aussehen (Mischformen nicht ausgeschlossen), dann ist besagte dritte Option, die die AKK vertritt, tatsächlich ungemein attraktiv. Dass man so tun möchte, als ob revolutionäre Praxis gerade unmittelbar auf der Tagesordnung oder wenigstens am Horizont stünde, ist nachvollziehbar, gerade weil sich heute eine solche Praxis nicht abzeichnet und man dennoch um die Möglichkeit des Kommunismus weiß; weil man dennoch nicht verzweifeln, die Hoffnung nicht verlieren möchte. Nur: Wenn man dieses Märchen am Ende wirklich glaubt, dann betrügt man sich selbst und opfert die Wahrheit der Praxis (oder zumindest der Illusion einer Praxis). Diese Wahrheit – sie ist bitter, aber auf sie müsste kommunistische Theorie heute zu allererst reflektieren – lautet, dass wir uns momentan nicht in einer Situation befinden, in der derartige Überlegungen und Strategievorschläge unmittelbare Relevanz hätten.

 

Felix Lang

 

*.lit

Antifa Kritik und Klassenkampf (2015): Der kommende Aufprall Auf der Suche nach der Reißleine in Zeiten der Krise. URL: http://akkffm.blogsport.de/images/DerkommendeAufprall_web.pdf [01.10.2018].

Marx, Karl (1871): Der Bürgerkrieg in Frankreich. Adresse des Generalrats der Internationalen Arbeiterassoziation. In: MEW 17: 313–365.

 

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