Die Krisenjahre seit 2008 sorgten neben weiteren Entwicklungen für das abermalige Anwachsen eines latenten Ohnmachtsgefühls des bürgerlichen Subjekts im Kapitalismus - die Verhältnisse erscheinen immer übermächtiger. Dieses Ohnmachtsgefühl, dessen verschiedenartige Erscheinungsformen wir sowohl im Subjekt selbst, als auch im kollektiven Akteur des bürgerlichen Staates sehen, wird jedoch nicht in seiner Tiefe anerkannt, um schließlich seine Ursachen ergründen zu können, sondern mit Hilfe vermeintlicher Krisenlösungsstrategien rationalisiert.

Einerseits lässt sich in diesem Kontext eine Zuwendung des Subjekts zu reaktionären Weltanschauungen ausmachen, worunter wir zuvorderst extrem rechte Ideologien und religiös-fundamentalistische Denkstrukturen subsumieren. Erstere werden in Deutschland heute mehrheitlich unter dem unscharfen Sammelbegriff Neue Rechte zusammengefasst; letztere äußern ihre radikalste Konsequenz zumeist in islamistischem Terrorismus. Andererseits können zunehmend autoritäre Antworten des Staates in Zusammenhang mit den Krisen des Kapitalismus festgestellt werden, worin eine Form der falschen Handhabung auf kollektiver Ebene erkennbar ist.

Fundamentale gesellschaftliche Veränderungen vollziehen sich, wenn nicht versucht wird am Status quo festzuhalten, somit überwiegend reaktionär, was das latente Gefühl der Ohnmacht – in weiten Teilen der Allgemeinheit – verschärft. Hier sollte jedoch weder von apokalyptischer Repression, noch von unentwegter Neoliberalisierung gesprochen werden. Vielmehr muss eine Analyse der beständigen Transformationen des Kapitalismus mit einem sich ebenso in Veränderung begriffenen Staat zusammen gedacht werden, was in diesem Rahmen allerdings nur angerissen und in seiner Komplexität deshalb nicht ausgebreitet werden kann. Wir bemerken dabei eine vielerorts stattfindende Neoliberalisierung, die jedoch – entgegen der gängigen Narrativen eines freien Marktes unter liberalen Vorzeichen – mit neuen Polizeikonzepten, Aufrüstung der Exekutive, sowie strengeren Gesetzen und einem dadurch stärker agierenden Staatsapparat einhergeht, weshalb wir hierbei grundsätzliche Unterschiede zur Politik vorhergehender Jahre konstatieren. Eine Deregulierung der Märkte in vielen, sicherlich nicht allen Bereichen, fällt mit staatlicher Intervention und Repression im Rahmen reaktionärer Denkmuster zusammen. Hier bedarf es einer detaillierten Auseinandersetzung, um den Kapitalismus in seiner heutigen Ausprägung und seinen widersprüchlichen Facetten verstehen zu können, ihm seinen übermächtigen Schein zu rauben und dadurch seinen zukünftigen Fortgang bestenfalls antizipieren zu können.

Dies halten wir für zielführender als scheinaktivistisch einen vermeintlichen Kampf gegen etwas zu führen, was nicht durchschaut und verstanden wird, um über die eigene Ohnmacht hinwegzutäuschen, sich den Verhältnissen resignativ hinzugeben oder schlimmstenfalls die Verwerfungen des kapitalistischen Staates in imaginierte Feindgruppen zu projizieren und selbst Teil der Reaktion zu werden.

Das fortwährend (re-)produzierte Ohnmachtsgefühl birgt demnach Gefahren und Potentiale zugleich: Gefahren, insofern es nicht reflektiert und auf seine Ursachen im Bestehenden zurückgeführt, sondern stattdessen mit Hilfe reaktionärer Ideologien rationalisiert wird; Potentiale dann, wenn es produktiv zur Beschäftigung mit den gesellschaftlichen Gegebenheiten genutzt wird, um ebendiese grundlegend zu ändern.

Aufgrund eigener reaktionärer Tendenzen und Momente innerhalb der so bezeichneten politischen Linken – dieser Tage dürfte die neue ›Sammlungsbewegung‹ Aufstehen das treffendste Beispiel für regressiven Antikapitalismus von sich als ›links‹ verstehenden Akteur_innen sein; doch darauf beschränkt sich eine falsche Analyse des Bestehenden leider nicht – entstehen Hürden, die oben genannten Entwicklungen zu durchblicken und ihnen damit entgegenwirken zu können. Es fehlt insgesamt an Möglichkeiten, die eigene Ohnmacht zunächst anzuerkennen, um anschließend ihre Ursachen zu analysieren und diese produktiv anzugehen. Resignation, Scheinaktivität und im schlimmsten Falle reaktionäre Ideologien im Umgang mit der eigenen Ohnmacht stehen der progressiven Aufhebung grundlegend im Wege. Der alleinige Wille zur Veränderung genügt folglich nicht; ohne entsprechende Analyse kann er sich stattdessen ins Gegenteil verkehren.

Für einen adäquaten und im eigentlichen Sinne linken Umgang mit der eigenen Ohnmacht möchten wir uns abschließend für eine ehrliche und selbstreflexive Diskussion innerhalb des politischen Alltags stark machen. Auf diese Weise kann ihr Potential produktiv genutzt und damit den Gefahren, die sie gleichzeitig birgt, entgegengewirkt werden. Dafür bedarf es zuallererst einer fundierten Ursachenanalyse des Kapitalismus in seiner heutigen Ausprägung, die eine materielle Untersuchung des Staates notwendigerweise mit einschließt. So kann es dem Subjekt gelingen, zu einer fruchtbaren Bewältigung der täglichen Zumutungen zu gelangen, um einerseits eigenen regressiven Tendenzen vorzubeugen und andererseits Ansätze für die progressive Veränderung auszumachen.

Für den Kommunismus!

 

Antifaschistisches Kollektiv 069