Der feministische Kampf um die Streichung des § 218 StGB und damit die Entkriminalisierung der Abtreibung ist in Deutschland nach wie vor unabgeschlossen. Selbst die nur marginale Verbesserung der Streichung des § 219a StGB scheint zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Beitrages, trotz parlamentarischer Mehrheit, nicht sicher. In der DDR war der Schwangerschaftsabbruch ab 1972 entkriminalisiert. Ein geeignetes Feld, um zu untersuchen, wie sich die Entkriminalisierung auf den Diskurs um die Abtreibung und letztlich entstigmatisierend auswirkte. Die Forschung zur Abtreibung in der DDR ist übersichtlich . Vorherrschend ist ein unterkomplexes Narrativ:

Die DDR-Frauen wollten ihr Gesetz behalten. Die BRD-Frauen wollten das DDR-Gesetz. Durch den Auftrag an die Regierung im Einigungsvertrag, ein neues einheitliches Gesetz zu entwerfen, mobilisierten beide Gruppen gemeinsam um die DDR-Gesetzgebung für die neue BRD zu erwirken. Dabei gab es Streit zwischen Ost- und West-Feminist_innen und am Ende einen Kompromiss. (Marx Ferree 2002: XVI)

Ähnlich verhält es sich mit der Zeit davor. Die entsprechende Erzählung lautet: In der DDR war Abtreibung erlaubt, wenn die Frau das wollte. Die DDR war da sehr fortschrittlich.

Beide Narrative erwecken unweigerlich den Eindruck, dass Brüche, Widersprüche und Kontingenzen, zwar nicht verdeckt, jedoch zumindest nicht hervorgehoben und analysiert werden. Mit der Arbeit, auf der dieser Text beruht, soll eine (Wieder-)Annäherung an das Thema Schwangerschaftsabbruch in der DDR stattfinden, an deren Ende bestenfalls eine differenziertere Erzählung stehen kann. Für die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Abtreibungsdiskurs in der DDR sind zwei theoretische Ausgangspunkte besonders nützlich: Eine staatstheoretische Theorie des Patriarchats und eine diskurstheoretische Theorie der Abtreibung. Beide verweisen deutlich auf Verdeckungszusammenhänge, die das gesamte Themenspektrum durchziehen. Abtreibungsverbote und -regulierungen sind immer, offen oder verdeckt, bewusst oder billigend in Kauf nehmend, frauenfeindlich.

War die DDR ein patriarchaler Staat oder hatte der realexistierende Sozialismus die Egalität der Geschlechter tatsächlich verwirklicht? Mit Myra Marx Ferree, einer amerikanischen Sozialwissenschaftlerin, die sich umfassend mit der deutschen Frauenbewegung beschäftigt hat, lässt es sich einer Antwort auf diese Frage annähern. Sie vertritt die These, dass es in der DDR ein öffentliches Patriarchat gegeben habe. Dieses stehe im Gegensatz zur BRD, wo ein privates Patriarchat herrschte. Im öffentlichen Patriarchat gibt die Staatsmacht die Kontrolle und Regulierung der Frauen nicht in die Hände einzelner (Ehe-)Männer, sondern behält diese selbst in der Hand. Dieser staatliche Zugriff richtet sich vor allem auf Frauen als Mütter.

In turn, this means that in public patriarchy women experienced their oppression as mothers and as more directly connected to the activities of the state as patriarch; in private patriarchy, women experienced their oppression as wives and as more directly connected to their individual dependence on their spouses. (Marx Ferree 1995: 13)

Damit stellt sich die Frage, wie das Abtreibungsgesetz der DDR von 1972, das die Entscheidung über das Austragen oder Abbrechen einer Schwangerschaft den schwangeren Frauen überließ, zu verstehen ist. Zudem ist interessant, wie dann ebendiese Frauen auf die daraus entstehenden Widersprüche reagiert haben.

Wo die Abtreibung praktiziert wird, geschieht sie gewöhnlich [...] im Verborgenen. Aber es handelt sich meist um ein Geheimnis, das ›die Spatzen von den Dächern pfeifen‹. (Boltanski 2007: 40)

In dem Spannungsfeld zwischen allgemeiner Toleranz und allgemeiner Missbilligung verweist Boltanski auf einen zentralen Aspekt der Abtreibung, der insbesondere für eine Untersuchung des Diskurses über die Abtreibung hohe Relevanz hat: Abtreibung ist Teil jeder Gesellschaft und durch die verschiedenen Varianten ihrer Regulierung ein Mittel der Machtausübung sowie Bevölkerungspolitik. Als Praktik und auch im gesellschaftlichen Diskurs soll sie unsichtbar bleiben. Mit Rückgriff auf Termini von Pierre Bourdieu spricht Boltanski daher von einem »offiziösen Raum«, in dem sich Abtreibung bewegt, der als Gegensatz zum »offiziellen Raum« fungiere.

 

JA UND NEIN ZUR ABTREIBUNG – DIE ENTWICKLUNG DER RECHTSLAGE

Bereits kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs und noch vor der Staatsgründung der DDR gab es umfangreiche juristische, parlamentarische und zivilgesellschaftliche Debatten über den Umgang mit der Abtreibung im Gebiet der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ). Die wirtschaftliche und soziale Situation der Bevölkerung war miserabel: Hunger und Wohnungsnot waren an der Tagesordnung. Viele Fälle von Vergewaltigung und damit in Zusammenhang stehende ungewollte Schwangerschaften schafften eine soziale Realität, die die Beibehaltung des § 218, zumal in seiner Fassung von 1943, nicht weiter vertretbar machten. Die SED veröffentlichte im Dezember 1946 einen Entwurf, der die Aufhebung des § 218 vorsah und durch ein anderes Gesetz ersetzen sollte. Abtreibung stellte demnach immer noch einen Straftatbestand dar, eine medizinische als auch eine soziale Indikation waren jedoch enthalten. Letztere hob sowohl auf soziale Notlagen als auch auf durch Vergewaltigung entstandene Schwangerschaften ab. Nach und nach erließen die Länder der SBZ jeweils eigene Gesetze auf Landesebene, da der gesetzgeberische Handlungsdruck groß und ein Abwarten auf eine Regelung für die gesamte SBZ nicht möglich war. Die Gesetze der Länder variierten leicht, basierten aber im Großen und Ganzen auf dem SED-Vorschlag. So sahen alle eine medizinische sowie eine ›ethische‹ Indikation vor. Alle, bis auf das Gesetz in Sachsen-Anhalt, beinhalteten außerdem eine soziale Indikation. Bereits laufende Verfahren gegen Frauen, die wegen Abtreibung angezeigt waren, wurden ausgesetzt. Ob eine soziale Notlage vorgelegen hatte, entschied eine Kommission aus Ärzt_innen und Sozialfürsorgerinnen. Die Verordnungen machten allerdings sehr deutlich, das sich ›sozial‹ im Grunde ausschließlich auf Armutslagen bezog (Thietz 1991: 23f.).

Mit Stabilisierung der wirtschaftlichen und staatsrechtlichen Verhältnisse veränderten sich auch die politischen Ziele. Die Führungskader der jungen DDR sahen die Zeit gekommen, nicht mehr nur Not und Elend zu verwalten, sondern mit dem Aufbau des antifaschistischen Staates zu beginnen. Dazu gehörte an vordererster Stelle die Steigerung der Geburtenrate. Am 27. September 1950 wurde das Gesetz über den Mutter- und Kindsschutz und die Rechte der Frau verabschiedet. Im § 11 hieß es:

Im Interesse des Gesundheitsschutzes der Frau und der Förderung der Geburtenzunahme ist eine künstliche Unterbrechung der Schwangerschaft nur zulässig, wenn die Austragung des Kindes das Leben oder die Gesundheit der schwangeren Frau ernstlich gefährdet oder wenn ein Elternteil mit schwerer Erbkrankheit belastet ist. Jede andere Unterbrechung der Schwangerschaft ist verboten und wird nach den bestehenden Gesetzen bestraft.

Des Weiteren wurde festgelegt, dass auch hierüber eine Kommission zu befinden habe. Eine soziale Indikation beinhaltete das Gesetz also nicht mehr. Jedoch war weiterhin eine medizinische Indikation vorgesehen. Somit führte die damalige DDR – darauf geht Daphne Hahn (2000) ausführlich ein – trotz aller vehementen Abgrenzungen vom Nationalsozialismus, eine eugenische Indikation ein. Die Zahlen der genehmigten Abbrüche gingen in den folgenden Jahren stark zurück, dies ist unter anderem auf die neue, restriktive Rechtspraxis zurückzuführen. Sowohl von medizinischer Seite als auch von Seiten der Frauen der DDR wurde allerdings als Reaktion mit den eingeschränkten bestehenden Mittel ein gewisser Druck gegenüber der Regierung aufgebaut, der letztlich 1965 zu einer Erweiterung des Gesetzes führte. Danach war es der zuständigen Kommission gestattet, bei ihren Entscheidungen auch soziale Faktoren zu berücksichtigen, wenn sie eine medizinische Indikation erwogen.

Obwohl noch im ersten Strafgesetzbuch der DDR von 1968 im § 153 der Schwangerschaftsabbruch unter Strafe gestellt wurde, vollzog sich ›über Nacht‹, wie es an so vielen Stellen heißt (vgl. bspw. Leo und König 2015; Thietz 1992), zwischen Dezember 1971 und März 1972 eine vollständige Wende der Gesetzgebung zum Schwangerschaftsabbruch. Das ist der gut bekannte Teil der Geschichte: In der DDR trat am 9. März 1972 das Gesetz zur Unterbrechung der Schwangerschaft in Kraft, wonach eine Schwangerschaft auf Verlangen der Schwangeren innerhalb der ersten zwölf Wochen abgebrochen werden konnte. Die Entstehung des Gesetzes mutet abenteuerlich an: Tatsächlich wurden Verantwortliche über Nacht ins Politbüro zitiert und mussten innerhalb weniger Tage Entwürfe erarbeiten6. In einem Interview mit Herta Kuhrig, der damaligen Leiterin der Forschungsgruppe Die Frau in der sozialistischen Gesellschaft, wird deutlich, auf welcher widersprüchlichen Haltung dieses Gesetz beruhte:

Einerseits habe man den Frauen das Recht geben müssen, die Schwangerschaft ›zu unterbrechen‹, andererseits jedoch sei es ›was Negatives [gewesen,] es sollte nicht sein‹. (Leo und König 2015: 187)

Dieses ›Negative‹ ist der Schwangerschaftsabbruch, der offenbar von der DDR-Führung gleichzeitig gewollt und nicht gewollt war. Als wesentlicher Bestandteil der Diskriminierung von Frauen und damit Hindernis auf dem Weg zur Gleichstellung lag die pragmatische Lösung in der Entkriminalisierung der Abtreibung. Frei von ›moralischen Zweifeln‹ war diese Entscheidung aber nicht (Thietz 1992: 138).

In den Volkskammerreden anlässlich der Verkündung des Gesetzes kommen eine ganze Reihe von Beweggründen für dessen Einführung zum Ausdruck: Die Festigung der Ehe, die Stabilisierung der Familie, der Gesundheitsschutz von Frauen und die Geburt von Wunschkindern. Die Übertragung des Rechts auf Entscheidung über das Austragen einer Schwangerschaft an ›die Frau‹, wie es Gesundheitsminister Mecklinger in seiner Rede formulierte, schien dem ZK der SED dabei Mittel zum Zweck. Die Überschrift, die das Neue Deutschland, das Presseorgan der SED in der DDR, über die abgedruckte Rede setzte, lautete entsprechend: »Das gewünschte Kind ist Ziel jeder Familie«.

An dieser Stelle lohnt es, den Begriff Schwangerschaftsunterbrechung etwas genauer zu betrachten. Etwas zu unterbrechen beinhaltet die Möglichkeit, nach der Unterbrechung weiterzumachen; zumindest geht mit der Vorstellung der Unterbrechung die Idee einher, dass etwas noch nicht völlig beendet sei. Die Brüchigkeit und die – nur dürftig verdeckten – Ziele hinter der DDR-Gesetzgebung kommen im Begriff selbst gut zum Ausdruck. Eine mögliche Lesart könnte sein, dass damit die Überzeugung zum Ausdruck komme, dass eine Schwangerschaftsunterbrechung nur eine Etappe der Familienplanung sei, die danach, mit kurzer Unterbrechung eben, weitergehe. Es geht davon keine Gefahr für den ›Volkskörper‹ aus. Das Wortauskunftssystem zur deutschen Sprache in Geschichte und Gegenwart (DWDS) zeigt, dass der Begriff erst und im Grunde ausschließlich im 20. Jahrhundert verwendet wurde. Die häufigsten Nennungen entfallen auf die 1970er Jahre. Offenbar wurde der Begriff zwar nicht in der DDR erfunden, von der DDR-Regierung aber als der geeignetste zur Verbalisierung der (bio-)politischen Anliegen betrachtet (DWDS 2018).

Nun wäre es dennoch unvollständig, nur auf diese steuerungsaffine Seite des Gesetzes zu schauen. Selbstverständlich brachte das Gesetz ganz reale Verbesserungen für die Frauen der DDR. Nachdem Mitte der 1960er Jahre die Anzahl der genehmigten Abbrüche auf unter 1.000 gesunken war, was folgerichtig mit einem Anstieg illegalisierter und damit unsicherer Abbrüche einherging, stieg die Zahl der legalen Abbrüche mit Einführung der Fristenregelung auf über 100.000.

 

FRAUENGRUPPEN UND ABTREIBUNG

Hinter den faktischen Verbesserungen für ungewollt Schwangere standen also biopolitische Interessen. Es stellt sich nun die Frage, inwiefern dieser Aspekt wahrgenommen und/oder problematisiert worden ist. Aus feministischer Sicht ist vor allem von Interesse, ob es Frauen oder Frauengruppen gab, die sich kritisch mit dem staatlichen Zugriff auf ihre Sexualität und Fortpflanzung auseinandergesetzt haben. Die folgenden Ausführungen geben einen thematisch fokussierten Überblick über Strukturen und Ziele der in den 1980er Jahren in der DDR entstandenen unabhängigen Frauengruppen.

In den 1980er Jahren entstanden in der gesamten DDR Frauengruppen, ausdrücklich und bewusst nicht unter dem Dach der staatlichen Massenorganisation Demokratischer Frauenbund (DFD), sondern unabhängig, in mal mehr, mal weniger deutlicher Opposition zum System, mal mehr, mal weniger deutlicher feministischer Absicht. Die Opposition, in der sich die Gruppen verorteten, bestand in allererster Linie gegenüber dem staatlichen System der DDR und nicht gegenüber dem gesellschaftlichen System des Patriarchats. Noch nicht einmal die Opposition zum Staat DDR war Konsens unter allen Gruppen. Das spiegelte sich wohl auch im Agieren der Gruppen wider:

Die Taktiken der Frauengruppen bewegten sich mehrheitlich im Spannungsfeld zwischen dem Vermeiden von Konfrontation und dem Einfordern von Mitbestimmung. Ideologische Allgemeinplätze wie: ›Arbeite mit, plane mit, regiere mit‹ oder: ›Der Sozialismus hat Platz für alle‹ wurden als Aufforderung zum Dialog (miß)verstanden. (Kenawi 1995: 12)

Als erste dezidierte Frauengruppe gründeten sich 1982 die Frauen für den Frieden in Berlin und Halle (Sänger 2005: 80; Kenawi 1995: 22), nachfolgend auch in anderen Städten und Kreisen der DDR. Anlass war eine geplante Reform des Wehrdienstgesetzes, das es unter anderem erlauben sollte, auch Frauen zum Dienst an der Waffe zu verpflichten. Für die Friedensfrauen, wie sie sich selbst nannten, war »das Zusammenfinden in einer Frauengruppe anfangs vielfach eher nebensächlich « (Kenawi 1995: 23). In der Berliner Eingabe, die so etwas wie das Gründungspapier darstellte, schrieben die Unterzeichnerinnen: »Wir Frauen fühlen uns besonders dazu berufen, das Leben zu schützen, die alten kranken und schwachen Menschen zu unterstützen « (Sänger 2005: 85). Das allein sagt noch nichts darüber aus, welche Inhalte und Dimensionen des Lebensschutzes für die Friedensfrauen galten. Es wirft allerdings die Frage auf, wie sich die Friedensfrauen zur Abtreibung positionierten – innerhalb der DDR und später in den Kampagnen um die Neuregelung. Eva Sänger charakterisiert die Bewegung folgendermaßen:

[D]er maßgebliche Ausgangspunkt (friedens-)politischen Handelns [wurde] in der individuellen Wahrnehmung von Verantwortung für menschliches Leben gesehen […], legitimiert über eine christliche und humanistische Verantwortungsethik und nicht über positiv gesetztes Recht. (Sänger 2005: 85)

In diesen Gruppen schien es nicht zentral um Frauenpolitik gegangen zu sein. Eine andere Vorstellung von gesellschaftlicher Veränderung war prominenter und auch die Ursachen für gesellschaftliche Missstände wurden nicht in patriarchalen Strukturen gesucht.

Die kirchlichen und kirchennahen Frauengruppen bildeten eine weitere Gruppe, wobei nicht völlig trennscharf zwischen Friedensfrauen und diesen unterschieden werden kann. Die Kirche, sowohl die evangelische als auch die katholische, bildete in der DDR ein buchstäblich wichtiges Dach für jegliche Opposition. Im Zusammenhang mit der Abtreibung stellen sich unmittelbar Fragen. Bekanntermaßen sind die Kirche und christliche Ansichten bis heute prägend für die Art und Weise der Gesetzgebungen und Regulierungen von Abtreibung. Obwohl sich die Haltung der evangelischen und der katholischen Kirche zu Abtreibung durchaus unterscheiden, gilt im Christentum die befruchtete Eizelle bereits als menschliches und damit schutzwürdiges Leben. Auch abseits von Abtreibung steht die christliche Kirche eher für ein tradiertes Geschlechtsrollenverständnis.

Aber: […] so paradox es klingen mag, die feministische Diskussion wurde in der DDR nicht in die Kirche hineingetragen, sondern drang aus ihr heraus in die Gesellschaft. [...] Diskriminierung von Frauen war hier [innerhalb der Kirche, Anm. d. Verf.] sichtbarer als in der säkularen DDR-Gesellschaft, die die Gleichheit der Geschlechter postulierte und Ungleichheit durch Frauenkommissionen und -ausschüsse, durch Frauenförderpläne und sozialpolitische Maßnahmen kaschierte. (Kenawi 1995: 16)

Tatsächlich belegen die Dokumente der kirchennahen Gruppen, dass es hier auch am ehesten zu Auseinandersetzungen mit feministischer Theorie gekommen ist. Zudem muss unbedingt beachtet werden, dass, gerade weil die Kirchen eben Raum für jegliche Systemopposition boten, bei weitem nicht alle Personen und eben auch nicht alle Frauen und Frauengruppen, die sich in Gemeinderäumen trafen oder über Gemeindewege kommunizierten, tatsächlich überzeugte Christ_innen waren. Dies scheint ein vernachlässigter Aspekt zu sein, der dazu geführt hat, dass gerade von feministischer Forschung diese Gruppen eher ausgeblendet wurden.

Die Bandbreite der Themen der Frauengruppen ist groß. Abtreibung gehörte sicherlich nicht zu den vordergründigen, wurde aber trotzdem thematisiert: Eingabeaktionen aus Unzufriedenheit mit der gynäkologischen Behandlung (Frauengruppen bei Gemeindedienst und Stadtmission Erfurt), Auseinandersetzung mit dem Kinderwunsch und ›Kinderkriegen‹ (LilaLadyClub Leipzig), Durchführung einer DDR-weiten Befragung von Frauen zu ihrer Motivation zum Abbruch (Frauengruppe Schwerin) und immer wieder Diskussionen zu Reproduktionstechnologien und der Bedeutung von Mutterschaft. Auf dem Evangelischen Kirchentag in Erfurt im Juni 1988 fand ein Frauenforum mit zahlreichen Arbeitsgruppen statt. Eine davon widmete sich dem Schwangerschaftsabbruch. Eine Podiumsdiskussion mit Vertreter_innen unterschiedlicher Berufsgruppen leuchtete die unterschiedlichen Dimensionen des Themas aus. In den wenigen Dokumenten aus der Zeit vor dem Herbst 1989 deutet sich eine eher kritische, mindestens hinterfragende Haltung zur gängigen Praxis der Abtreibung in der DDR an. Und noch etwas spiegelt sich wider: der Wunsch nach Austausch über den Schwangerschaftsabbruch, sowohl in seiner individuellen wie auch in seiner gesellschaftspolitischen Dimension.

Im Spätherbst 1989 verbreitet sich unter den engagierten Frauen schnell die Nachricht, dass es im Zuge der Rechtsangleichung der wiederzuvereinigenden Staaten dazu kommen könnte, dass die Abtreibungsgesetzgebung der BRD für die neue Bundesrepublik übernommen werden soll. Der Aktivismus dieser Zeit ist tatsächlich nicht ohne weiteres überschaubar. Gruppen entstanden und verschwanden binnen Tagen oder Wochen. Für einiges passt wohl der Begriff Aktionismus besser als Aktivismus. Die drohende Verschlechterung des Abtreibungsrechts mobilisierte viele Frauen – zum Teil, aber nicht nur aus den bereits bestehenden Frauengruppen. Sowohl diejenigen Gruppen, die sich als radikal-feministisch verstanden als auch die kirchennahen und kirchlichen Frauengruppen bezogen deutlich Stellung gegen eine Kriminalisierung der Abtreibung, starteten Demonstrationsaufrufe, organisierten – gemeinsam mit Gruppen aus Westdeutschland – Kongresse, sammelten Unterschriften und schrieben zahlreiche Beiträge in den neuen unabhängigen Frauenzeitschriften wie Lilith, Ypsilon oder Weibblick. Der Unabhängige Frauenverband, im Winter 1989 gegründet und durchaus mit parlamentarischem Machtstreben ausgestattet, nahm dabei eine zentrale Rolle ein. In dieser hitzigen Zeit hielt beinahe jeder Tag neue Informationen mit weitreichenden Konsequenzen oder eher weiteren Unsicherheiten bereit.Für die Untersuchung des Diskurses ist es interessant, inwiefern sich spezifische, auch kritische, DDR-Erfahrungen, mit dem Schwangerschaftsabbruch im Aktivismus niederschlagen, welche Positionen wie argumentiert werden. Einiges deutet darauf hin, dass es eher zu einer Übernahme westdeutscher feministischer Argumentation kam, als das die ostdeutschen Frauen( gruppen) ihre eigenen Schwerpunkte setzen konnten (oder wollten). Angesichts der drohenden massiven Verschlechterung der Rechtslage lag es nahe, vor allem anzukämpfen. Das – und das ist nicht spezifisch für diesen Zeitabschnitt feministischen Engagements gegen den § 218 – ging jedoch möglicherweise zulasten einer differenzierten feministischen Positionierung zu den komplexen Fragen der Abtreibung.

 

ZAGHAFTE ANSÄTZE

Ab den 1970er Jahren kommt im offiziellen Diskurs der DDR-Führung zum Ausdruck, dass die Regierung der DDR erkannt hatte, dass individuelle und körperliche Selbstbestimmung, ein begehrtes Gut ist. Die DDR-Führung hat in vielen kapitalistischen Ländern gesehen, dass Menschen und eben auch Frauen für ihr Recht auf Selbstbestimmung auf die Straßen und die Barrikaden gehen, dass Menschen bereit sind, dafür zu kämpfen. Und so hat sich die DDR-Führung vor allem auch eine Sprachregelung, aber eben auch ein ganz konkretes Gesetz ausgedacht, das de facto die Frauen dazu befähigte, selbstbestimmt Entscheidungen ganz im Sinne des Staates zu treffen. Ein Satz aus einem Brief, den Kathrin Rohnstock (1990) zitiert, bringt das prägnant zum Ausdruck. Dort schreibt eine Frau am 15. Januar 1990 an eine Freundin:

Und wenn du schreibst, daß die Frauen in diesem Land, ›nicht gezwungen wurden, auf Kinder zu verzichten‹, so scheint mir eher, sie wurden gezwungen, nicht auf Kinder zu verzichten. (ebd.: 107)

Umso erstaunlicher ist es, wie wenig dieser Widerspruch von den Frauengruppen in den 1980ern thematisiert und problematisiert wurde. Die heute noch aus Dokumenten nachvollziehbaren Ansätze wirken geradezu zaghaft. Im Zuge der Wiedervereinigung und der gesamtdeutschen Mobilisierung gegen den § 218 haben Frauen aus der DDR einen Anfang gefunden, um über ihre Abbrucherfahrungen in der DDR zu reflektieren.

Die drohende Kriminalisierung, die sich überschlagenden Ereignisse, die Vorbehalte gegen feministische Bewegung im Osten und die gleichzeitige Unterordnung von Ostfrauen unter den westdeutsch geprägten Feminismus erstickten die zaghaften Ansätze reflektierter Debatte.

 

Katja Krolzik-Matthei

 

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DWDS-WORTVERLAUFSKURVE FÜR SCHWANGERSCHAFTSUNTERBRECHUNG, ERSTELLT DURCH DAS DIGITALE WÖRTERBUCH DER DEUTSCHEN SPRACHE. URL: https://www.dwds.de/r/plot? view=1&corpus=dta%2Bdwds&norm=date%2Bclass&smooth= spline&genres=0&grand=1&slice=10&prune=0&window=3& wbase=0&logavg=0&logscale=0&xrange=1600%3A2000&q1=Schwangerschaftsunterbrechung [13.08.2018].

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